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Dezember 2019 Die vergessenen WählerDie Parteien und Wählergruppen befinden sich mitten im Endspurt zu den Kommunalwahlen am 15. März 2020. Seit dem Frühsommer versuchen einige Fraktionen in den Stadt- und Gemeinderäten von Grafing, Ebersberg und Kirchseeon mit vermehrten Anträgen in den Gremien den Wähler auf sich aufmerksam zu machen. Andere wiederum, wie die SPD und die Freien Wähler in Grafing oder die Kirchseeoner Unabhängige Wählergemeinschaft (UWG, vormals Freie Wähler), scheinen mit der Politik der Bürgermeister und der Ratsmehrheiten so zufrieden zu sein, dass sie – so wie die meiste Zeit in der nun fast abgelaufenen Amtsperiode - auch jetzt wenig Anlass für eigene Anträge sehen.Zwar wäre es voreilig, einer Fraktion, die in der laufenden Amtsperiode überhaupt keinen Antrag gestellt hat, die Frage nach ihrer Existenzberechtigung zu stellen, da man auch auf andere Weise Einfluss auf die politischen Entscheidungen in einer Kommune nehmen kann. Wie effektiv dieses Mittel aber sein kann, hat die Fraktion der Bürger für Grafing (BfG) gezeigt, die in den letzten fünfeinhalb Jahren im Stadtrat mehr Sachanträge gestellt hat als andere Fraktionen. Da sich die BfG nicht mehr um Sitze im nächsten Grafinger Stadtrat bemühen will, könnte es dort künftig etwas ruhiger werden. Bis auf die BfG treten in Grafing, Ebersberg und Kirchseeon wieder alle Parteien und Wählergruppen bei den Kommunalwahlen an. Neu dabei sind die Wählervereinigung "Pro Ebersberg", in Kirchseeon die FDP, in Grafing die Bayernpartei. In Zorneding will erstmals die Partei Die Linke in den Gemeinderat. Auf den Wahllisten finden sich viele neue Namen, aber auch einige Kandidaten, die schon 2014 kandidiert hatten. So steht auf der Liste der Kirchseeoner SPD wieder der ehemalige Gemeinderat Wolfgang Uebelacker (auf dem 24. und letzten Listenplatz). Bei der Gemeinderatswahl 2014 stand er auf Platz 17 von 20 der SPD-Liste, erhielt aber wohl wegen seiner Bekanntheit als Vorsitzender der Kirchseeoner Perchten so viele Stimmen, dass er auf Rang vier der insgesamt sechs SPD-Gemeinderäte landete. Doch gerade mal drei Monate nach der Wahl stellte er wegen angeblich kurzfristig aufgetretener gesundheitlicher Probleme ein Rücktrittsgesuch an den Gemeinderat. Da dem Gemeinderat bei einem Antrag auf Entlassung aus dem kommunalen Ehrenamt kein Ermessensspielraum mehr zusteht, nahm der Marktgemeinderat Kirchseeon die Amtsniederlegung von Wolfgang Uebelacker als Marktgemeinderat zum 01.09.2014 zur Kenntnis, entließ ihn aus dem Amt (Art. 37 Abs. 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 3 GLKrWG) und bestimmte den Nachfolger. Die Wahlgesetze schreiben vor, dass nur diejenigen kandidieren sollen, die das Mandat auch ausüben wollen. Damit soll die Glaubwürdigkeit von demokratischen Wahlen geschützt werden und den Versuchen von Parteien und Wählergruppen entgegen gewirkt werden, Personen als "Zugpferde" auf ihre Liste zu setzen, die gar nicht ernsthaft vorhaben, das Mandat auszuüben. Müssen die wenigen SPD-Wähler eine Wiederholung der Ereignisse von 2014 befürchten? Die Kandidaten auf den bisher veröffentlichten Wahllisten stellen bei keiner Partei oder Wählergruppe einen repräsentativen Querschnitt durch das Wahlvolk dar, weder hinsichtlich regionaler, noch sozioökonomischer Kriterien. So ist der Frauenanteil außer bei den Grünen meist noch weit von der Parität entfernt. Nahe kommen ihr die Kirchseeoner UWG mit 46 %, die Ebersberger CSU und die Kirchseeoner FDP mit 38 % (CSU Grafing 33 %, CSU Kirchseeon: 25 %), die Kirchseeoner SPD erreicht hingegen nur 21 % Frauenanteil. Die zahlenmäßige Über- oder Unterrepräsentierung einzelner Ortsteile war in der Vergangenheit in Kirchseeon immer wieder Anlass für Eifersüchteleien und Ursache für eine ausgeprägte Klientelpolitik im Marktgemeinderat. Diese historisch bedingte Spaltung scheint auch nach 80 Jahren (die Gründung der Gemeinde Kirchseeon erfolgte erst im Jahr 1939; siehe dazu den Bericht im Mai 2019) immer noch nicht überwunden, denn die Kandidatenliste der Kirchseeoner CSU fällt auch diesmal wieder durch eine ausgeprägte "Eglharting-Lastigkeit" auf, ebenso wie auch die neu um den Einzug kämpfende FDP. Die Grüne Liste Kirchseeon (nicht identisch mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen, die in Kirchseeon noch nie antrat) weist erneut eine starke Dominanz der östlichen Ortsteile rund um das Kirchseeoner Moos auf, während die Kandidaten von SPD und UWG vor allem im Kernbereich von Kirchseeon wohnen. Eine zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe scheint aber bisher überhaupt nicht im Blickfeld der Parteien und Wählergruppen im Landkreis zu sein, nämlich die dauerhaft hier lebenden Ausländer und die Deutschen mit Migrationshintergrund. Der Ausländeranteil im Landkreis Ebersberg wächst stetig an und beträgt derzeit ca. 15 %. Der Ausländeranteil in Kirchseeon liegt mit ca. 22 % weit darüber, in Zorneding mit 12 % etwas darunter. Die größten Gruppen stammen laut dem Ebersberger Kommunalen Integrationskonzept aus Ex-Jugoslawien, Österreich, Rumänien, Ungarn und Italien. Ausländer können Mitglieder in Parteien und Wählervereinigungen werden. Konkrete Zahlen für den Ausländeranteil der Parteien und Wählervereinigungen auf Landkreisebene waren bei den Behörden und den Kreisverbänden nicht verfügbar. Wie der Landesverband von B90/Die Grünen mitteilt, beträgt dort der Ausländeranteil nur ca. 1,6 %. Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur soll der Ausländeranteil in der Bundes-SPD etwa bei 2 %, bei der CSU hingegen nur bei 0,5 % liegen – selbst die AfD soll mehr ausländische Mitglieder haben. Die große Mehrheit der Ausländer stammt aus einem EU-Land und ist bei den Kommunalwahlen seit den 1990er Jahren aktiv und passiv wahlberechtigt – nur Bürgermeister und Landrat können sie in Bayern bisher nicht werden. Dennoch liegt der Anteil der EU-Bürger in den Wahllisten und in den Gemeinde- und Stadträten im Landkreis nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Ihre Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen wird auf nur 20–30 % geschätzt. Nach dem letzten Mikrozensus des Statistischen Bundesamts leben hierzulande etwa genauso viele Deutsche mit Migrationshintergrund (eingebürgerte Ausländer, Spätaussiedler sowie deren Nachkommen) wie Ausländer. Deutsche mit Migrationshintergrund gehen doppelt so oft nicht zur Wahl wie andere Deutsche. Dies könnte ein Teil der Erklärung für die seit 1990 um 20 Prozentpunkte (von ca. 75 auf ca. 55 %) gesunkene Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen in Grafing, Ebersberg, Kirchseeon und Zorneding sein. In den letzten Jahren galt die Aufmerksamkeit besonders der zahlenmäßig eher kleinen Gruppe der Asylbewerber. Dabei wurde die größere Gruppe der dauerhaft hier lebenden Ausländer und der Deutschen mit Migrationshintergrund, die rund ein Drittel der Bevölkerung zählt, übersehen. Das scheint sich langsam zu ändern, denn die Wahl eines italienischstämmigen Bürgermeisterkandidaten durch die Kirchseeoner SPD könnte ein Zeichen sein, dass man der drohenden Legitimationskrise der "Kommunalparlamente" entgegen wirken will. Dies allein wird aber nicht ausreichen, um diese Bevölkerungsgruppe für die innergemeindliche Demokratie zu gewinnen. Integrationskonzepte und Integrationsbeauftragte wie in Ebersberg oder Migrationsbeiräte (in München früher als Ausländerbeirat bezeichnet) als gewählte Interessenvertretung der ausländischen Mitbürger könnten nächste Schritte zur gleichberechtigten Teilhabe in der Gemeindepolitik sein. Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Fassung in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Dezember 2019. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm
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