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Januar 2021 Corona statt Demokratie"In jeder Gemeinde hat der erste Bürgermeister mindestens einmal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderats auch öfter, eine Bürgerversammlung zur Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten einzuberufen". So heißt es unmissverständlich, ohne wenn und aber und ohne jede Ausnahme, in Artikel 18 der Bayerischen Gemeindeordnung (GO).Das Abhalten von Bürgerversammlungen und die "Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten" in einem offenen Diskurs mit den Bürgern war aber seit jeher bei den Bürgermeistern nicht besonders beliebt. So "vergaß" der in den 1980er Jahren amtierende Kirchseeoner Bürgermeister Josef Miethaner (CSU) schon mal, eine Bürgerversammlung einzuberufen – was ihm eine Beschwerde eines aufmerksamen Bürgers und einen "Rüffel" durch die Kommunalaufsicht im Landratsamt einbrachte. Ende der 1980er Jahre musste das Bayerische Innenministerium (BayStMI) in seiner Antwort auf eine Landtagsanfrage (LT-Drs. 11/11514 vom 10.05.1989) hin sogar einräumen: "In keinem der Regierungsbezirke wurden seit 1984 in sämtlichen Gemeinden lückenlos jährliche Bürgerversammlungen nach Art. 18 Abs. 1 GO abgehalten. Die Verstöße reichten von 'vereinzelt' bis zu 25 bis 35% der Gemeinden eines Regierungsbezirks. In mindestens vier Gemeinden lag die letzte Bürgerversammlung mehr als vier Jahre zurück. Der Fall, in dem die letzte Bürgerversammlung vor mehr als elf Jahren stattgefunden hatte, hat sich als außergewöhnlicher Ausnahmefall herausgestellt…" Ob inzwischen überall mindestens einmal im Jahr eine Bürgerversammlung abgehalten wird, ist nicht bekannt, denn das BayStMI verfügt dazu über keine aktuellen Erkenntnisse, wie es auf Anfrage mitteilte. Inzwischen haben viele Bürgermeister aber ausgefeiltere Strategien entwickelt, um sich der "Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten" weitgehend zu entziehen. Anstatt die "Rechenschaftsberichte" vorab zu veröffentlichen, um auf den Bürgerversammlungen darüber zu diskutieren, werden die Anwesenden mit stundenlangen Vorlesungen von trockenen Statistiken und durch Powerpoint-Folien ermüdet - der aus Aßling stammende Kirchseeoner "Altbürgermeister" hatte in seinen drei Amtsperioden darin eine besondere Meisterschaft entwickelt. Danach hatten viele keine Lust mehr, noch irgendwas zu diskutieren, sondern wollten einfach nur noch nach Hause - noch mehr wollten sich das gar nicht erst antun, sondern blieben gleich zu Hause... Dieser "Kreativität" der Bürgermeister bei der Gestaltung der Bürgerversammlung scheinen kaum Grenzen gesetzt, wie Ende der 1970er Jahre aus München berichtet wurde, wo die Vorführung von mit kommunalen Steuergeldern gedrehten PR-Filmen zum U-Bahnbau in Bürgersammlungen heftige Kritik hervorrief. Angesichts solcher Auswüchse wurde das BayStMI nicht müde zu betonen (LT-Drs. 11/11514): "Sinn und Zweck der Bürgerversammlung ist es, dass auf ihr die interessierten Gemeindebürger zu Wort kommen sollen." Nun musste im Herbst 2020 "Corona" als Begründung für die pauschale Absage aller im Landkreis noch ausstehenden Bürgerversammlungen herhalten. Und das, obwohl das BayStMI in seinem Schreiben vom 23. Oktober 2020 alle Kommunen daran erinnerte, dass Bürgerversammlungen "ein wichtiges Element der Bürgerbeteiligung dar[stellen], weswegen zu deren Organisation auch in Corona-Zeiten bei stabilem und beherrschbaren Infektionsgeschehen alle Anstrengungen unternommen werden sollten." Um die hygienischen Anforderungen zu erfüllen, hätten die Kommunen diverse Möglichkeiten zur Begrenzung der Höchstzahl der Teilnehmer, notfalls auch durch eine Aufteilung auf mehrere Ortsteil-Bürgerversammlungen. Und durch eine vorherige Anmeldung (online oder schriftlich) könne eine Planung und Kontaktnachverfolgung erleichtert werden. Auch wäre nach Meinung des BayStMI die zusätzliche Einrichtung eines Live-Streams, um die Besucher vor Ort zu reduzieren, unbedenklich, wenn die datenschutzrechtlichen Regelungen eingehalten werden und den Bürgern keine Beschränkungen ihres Mitberatungsrechts entstehen. "Das würde voraussetzen, dass Fragen und Anträge nicht nur auf die Versammlungsteilnehmer beschränkt sind, sondern auch vorab eingereicht werden können, und die Anträge ohne gesonderte Abstimmung allesamt im Gemeinderat behandelt werden." Erst wenn trotz aller Maßnahmen das Infektionsgeschehen vor Ort das Risiko für Bürgerversammlungen tatsächlich unkalkulierbar erscheinen ließe, dürfe nach Auffassung des StMI von einer Bürgerversammlung abgesehen werden. Doch bereits etwa eine Woche vor dem BayStMI-Schreiben hatten sich die Landkreis-Bürgermeister in einer Online-Dienstbesprechung aus "Solidarität" für eine pauschale Absage aller ausstehenden Bürgerversammlungen entschieden, obwohl sich u.a. der Grafinger Bürgermeister Christian Bauer schon auf mehrere Teilbürgerversammlungen eingestellt hatte. Bereits diese zeitliche Abfolge legt es nahe, dass vor der Absage die vom BayStMI geforderte Prüfung, ob die Versammlung unter bestimmten Vorkehrungen dennoch möglich wäre, nicht erfolgte – auch wenn die Bürgermeister Pieter Mayr (Zorneding) und Ulrich Proske (Ebersberg) auf Anfrage das Gegenteil behaupteten. Objektive Argumente gegen Bürgerversammlungen unter "BayStMI-Bedingungen" sind auch schwerlich erkennbar, wenn noch bis in den Dezember Gemeinderatssitzungen mit 50 und mehr Anwesenden stattfanden. Bei Sitzungen des Kreistags kamen sogar regelmäßig 70-90 Personen im ehemaligen Kreissparkassengebäude in Ebersberg zusammen - ungeachtet des Risikos, dass bereits ein einziger Corona-infizierter Teilnehmer zu einer Quarantäne- bzw. Isolierungspflicht aller Anwesenden und damit zur Handlungsunfähigkeit der kommunalen Verwaltung führen könnte. Eine Bürgerversammlung ließe sich jedoch unter besseren hygienischen Bedingungen als eine Gemeinde- oder Kreistagssitzung durchführen. Denn alle Teilnehmer könnten zum Tragen einer Maske, die lediglich für einen Redebeitrag abgenommen werden dürfte, verpflichtet werden. In den Gemeinderatssitzungen hingegen trug bis zuletzt die Mehrzahl der Teilnehmer weiterhin keinen Mund-Nasen-Schutz. Leider scheint dem Landrat Niedergesäß und den Bürgermeistern Paeplow, Mayr, Proske und den anderen Bürgermeistern im Landkreis, die ihre Bürgerversammlung nicht wie andere bereits im Sommer bei geringer "Corona"-Inzidenz abhielten, sondern naiverweise auf das Ausbleiben einer herbstlichen "2. Welle" hofften, bei der pauschalen Absage der Bürgerversammlungen im Oktober die nötige Sensibilität gefehlt zu haben, um zu erkennen, wie sehr dadurch Wasser auf die Mühlen derjenigen geleitet wurde, die der Exekutive vorwerfen, "Corona" zum Abbau der Demokratie und für die Errichtung einer "Corona-Diktatur" zu missbrauchen. Zur Stärkung der innergemeindlichen Demokratie wäre es sicherlich wünschenswert, wenn auf Bürgerversammlungen wieder mehr Zeit der "Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten" und weniger der Selbstdarstellung der Bürgermeister gewidmet würde. Wenn aber der Kirchseeoner Bürgermeister Jan Paeplow in der November-Ausgabe seiner Hauspostille "Kirchseeon aktuell" schreibt, dass er an "einem neuen Format" für die Bürgerversammlungen arbeite, sind berechtigte Zweifel angebracht, ob das nicht nur eine weitere folgenlose Ankündigung ist. Denn Taten hingegen gab es von ihm bisher nur wenige bis gar keine. Auch er macht auch keine Anstalten, sein Versprechen, alle an ihn gerichteten Bürgerfragen zu beantworten, jemals eingehalten. Die Bürgermeister der Nachbargemeinden haben ihre Versprechen gehalten haben, den Bürgern trotz abgesagter Bürgerversammlung ihre nicht gehaltenen "Rechenschaftsberichte" über das Internet oder sogar gedruckt zur Verfügung zu stellen: Bürgermeister Christian Bauer, Grafing, veröffentlichte Anfang November einen 21-Seiten-Bericht plus Videos, Bürgermeister Ulrich Proske, Ebersberg, stellte Anfang Dezember einen 34 Seiten umfassenden Bericht zur Verfügung und selbst Bürgermeister Pieter Mayr, Zorneding, veröffentlichte bereits Anfang Dezember eine Kurzfassung von 3 Seiten plus 4 Seiten Antworten auf Bürgerfragen in "Mein Zorneding". In der erst Ende Dezember verteilten Januar-Ausgabe der Rathaus-Postille "Kirchseeon aktuell" finden sich hingegen nur zwei Seiten trockener Statistiken sowie zwei Seiten Photos. Aber es findet sich keine einzige Zeile, geschweige denn ein Wort über die "Leistungsbilanz" von Bürgermeister Jan Paeplow in seinen inzwischen 8 Monaten Amtszeit - hat er nichts geleistet, worüber es sich zu schreiben lohnt? Und sollen die beiden dürren Seiten mit bloßen Statistiken ein Vorgeschmack auf das "neue Format" sein, das die Kirchseeoner in der nächsten Bürgerversammlung erwartet? So haben inzwischen viele Kirchseeoner Wähler den Eindruck, dass sie eine "lame duck", eine lahme Ente ohne Tatkraft, zum Bürgermeister gewählt haben, und die Befürchtung, dass die Gemeinde von einer demokratisch nicht legitimierten Schattenregierung seines "persönlichen Referenten" gesteuert wird und der gewählte Bürgermeister nur dessen Marionette spielt. Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Januar 2021, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm
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