Kirchseeon-intern.de - Wissens- und Sehenswertes über Kirchseeon


Dezember 2016
Auszug aus dem Entwurf der Machbarkeitsuntersuchung Brennerzulauf, Stand September 2016
Abkürzungen: SSD = Schienenstegdämpfer, SSA = Schienenstegabsorber, SSW = Schallschutzwand,
NKV = Nutzen/Kosten-Verhältnis

Kein Lärmschutz an den Gleisen im Landkreis Ebersberg

Viele Versprechungen
Noch im Dezember 2014 hieß es im Protokoll eines Gesprächs zwischen dem bayerischen Innenministerium (BayStMI) und der DB AG über den weiteren Ausbau der Eisenbahnstrecke München-Rosenheim-Kufstein viel versprechend: "Zum Lärmschutz an der Bestandsstrecke bittet die Staatsregierung um die Entwicklung einer Planung im Interesse der Anwohner unabhängig von rechtlichen Verpflichtungen bzw. bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten."

Im Frühjahr 2015 fand dann ein erstes Gespräch zwischen dem Bundesverkehrsministerium, dem BayStMI und der DB Netz AG zur Durchführung einer sog. Machbarkeitsuntersuchung statt. Ziel der Studie sollte es sein, zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen vorzuschlagen und zu bewerten, um die Anwohner vor dem Lärm der derzeit rund 450-500 Züge täglich (Abschnitt Trudering-Grafing) zu schützen.

Noch im April 2015 versprach der Wahlkreisabgeordnete Dr. Andreas Lenz (CSU) "Dabei geht es um Maßnahmen, die über das freiwillige Lärmschutzprogramm des Bundes hinausgehen" und forderte "Es gilt, die Strecke hinsichtlich der notwendigen Lärmschutzmaßnahmen wie eine Neubaustrecke einzustufen. Auf der gesamten Strecke zwischen München und Innsbruck müssen die höchsten Lärmschutzniveaus gelten."

Unhörbarer Lärmschutz
Im September 2016 wurde nun der 2. Entwurf der "Machbarkeitsuntersuchung über zusätzliche Maßnahmen zur Lärmminderung an der Infrastruktur der Bahnstrecke Brennerzulauf/München-Rosenheim-Kiefersfelden" vorgestellt. Nur die Gemeinden und Abgeordnete erhielten eine Kopie, der Öffentlichkeit wird bis heute die Einsicht verweigert. Die obige Tabelle aus dem Bericht könnte diese Geheimniskrämerei erklären: für die meisten Gemeinden im Landkreis sind nämlich keine Maßnahmen vorgesehen, die die Lärmbelastung wirksam mindern könnten.

MdB Dr. Lenz und sein Parteikollege MdL Huber reden sich dieses vernichtende Ergebnis in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung vom 21.09.2016 schön: "Vor allem das Anbringen von Schienenstegdämpfern in Ortsdurchfahrten entlang der gesamten Strecke im Rahmen eines Pilotprojekts ist ein Fortschritt … Diese tragen laut Bahn zu einer Lärmreduzierung von zwei dB(A) bei … Außerdem soll durch regelmäßiges Schleifen der Schienen eine zusätzliche Schallreduzierung erreicht werden … Auch diese Maßnahme sei zu begrüßen."

Schienenschleifen führt zu mehr Lärm
Das als "regelmäßiges Schleifen" bezeichnete sog. Unterhaltsschleifen wird von der DB Netz AG jedoch bereits seit mehreren Jahren im Landkreis durchgeführt und ist daher keine zusätzliche Maßnahme. Schon ebenso lange gibt es Anwohnerbeschwerden, dass dieses Schleifverfahren tiefe Querfurchen auf der Schienenoberfläche hinterlasse, was nicht etwa zu einer Lärmminderung führe, sondern den Lärm sogar noch erhöhe. Dies wird in einer aktuellen Studie der Fa. Vossloh, eines Herstellers von Schienenschleifmachinen und Dienstleister für Schienenschleifen, bestätigt.

Auch mit den geplanten Schienenstegdämpfern (SSD) bzw. Schienenstegabsorbern (SSA) verhält es sich nicht besser: in der Fachwelt ist stark umstritten, ob diese überhaupt lärmmindernd wirken. Zudem scheint den beiden CSU-Abgeordneten nicht bekannt zu sein, dass das menschliche Ohr Lautstärkeänderungen von weniger als 3 dB(A) aus physiologischen Gründen überhaupt nicht wahrnehmen kann – oder sollen sich die Anwohner im Landkreis Ebersberg mit akustisch nicht hörbarem Lärmschutz zufrieden geben? Wirksamen Lärmschutz soll es dagegen in der Heimatstadt von MdL Huber geben: Lärmschutzwände sind nämlich nur im Grafinger Ortsteil Oberelkofen sowie seit kurzem angeblich auch in Schammach vorgesehen, obwohl dort die Wirtschaftlichkeitskriterien nicht erfüllt werden.

Lärmgutachter im "Anschein der Voreingenommenheit"
Die Firma Möhler+Partner Ingenieure AG, die diese Untersuchungen durchführt, behauptet nun allen Ernstes, dass durch diese nicht hörbaren Maßnahmen bis zu 49 % der Bevölkerung vom Lärm entlastet würden. Dazu ist es hilfreich zu wissen, diese Firma "30 % ihres Umsatzes mit der Gruppe Deutsche Bahn tätigt" und dass das Oberlandesgericht Bamberg im Juni 2016 über den Mitautor und Mitinhaber Ulrich Möhler urteilte, dass diese wirtschaftliche Abhängigkeit die Besorgnis aufkommen lasse, es liege der "Anschein der Voreingenommenheit" vor; das Gericht lehnte Herrn Möhler daher in einem zivilrechtlichen Verfahren als Gutachter ab.

Überall Lärmschutz nach Neubau-Standard, nur nicht im Landkreis Eberbserg
Die Diskrepanz zwischen den Versprechungen der hiesigen "Politik" und den bescheidenen Ergebnissen der Machbarkeitsuntersuchung könnte kaum größer sein. Dass sich daran noch was ändert, ist nicht zu erwarten: der Kreistag Ebersberg zögert weiter, in einer Resolution die Anwendung des sog. TEN-T-Beschlusses des Bundestags auf die Brenner-Zulaufstrecke und damit eine Gleichsetzung mit Neubaustrecken zu fordern und der Gemeinderat Kirchseeon lehnte kürzlich eine Beschlussfassung entschieden ab.

Gänzlich grotesk ist es, dass die hiesigen MdBs Dr. Lenz (CSU) und Schurer (SPD), die diesen TEN-T-Beschluss Ende Januar 2016 im Bundestag mitgetragen haben, sich nun weigern, die Anwendung eben dieses TEN-T-Beschlusses auf ihren eigenen Wahlkreis zu fordern.

Dr. Lenz' Oberpfälzer Parteikollege Albert Rupprecht (CSU) setzt sich hingegen ganz vehement für seine Wähler ein und stellt in seiner Erklärung nach §31 GO, die er am 2.12.2016 zur Bundestagdebatte zum Bundesschienenwegeausbaugesetz abgab, unzweideutig klar, dass er dem TEN-T-Beschluss eine Rechtsverbindlichkeit zuschreibt und demzufolge für die TEN-T-Ausbaustrecke in seiner Oberpfälzer Heimat nicht nur unhörbarer Billig-Lärmschutz, sondern Lärmschutz nach Neubau-Standards zu bauen und vom Bund zu finanzieren ist.

Am 19.12.2016 stellte nun auch die NRW-Landesregierung in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage klar, dass sie für alle TEN-T-Strecken in NRW die gleichen Lärmschutzstandards wie bei Ausbau der Rheintalstrecke, bei der vom Bundestag ein Güterzugtunnel für 1,2 Mrd. EUR beschlossen wurde, einfordert.

Hiesige Mandatsträger lassen Anwohner im Stich

Erfahren die Bahnanlieger im Landkreis Ebersberg schon von den eigenen Mandatsträgern so wenig Solidarität und Unterstützung, darf es nicht verwundern, dass das BMVI und die DB Netz AG keine Bereitschaft für weitere Lärmschutzmaßnahmen zeigen und wohl Dreiviertel der rund 13 Mio. EUR in den Landkreis Rosenheim wandern werden und die meisten Gemeinden im Landkreis Ebersberg mit unhörbarem Lärmschutz abgespeist werden sollen.



Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Dezember 2016. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt.

Diese Webseiten werden fortlaufend erweitert und ergänzt.


  © 2011-2017 · L. Steininger · E-Mailemail senden