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März 2021
Rathaus Kirchseeon
Hinweisschild zum Kirchseeoner Rathaus

Kirchseeon planlos

Üblicherweise wird einem neuen Amtsinhaber eine 100-Tage-Frist zugestanden, um sich einzuarbeiten und erste Maßnahmen auf den Weg zu bringen, bevor Presse und Opposition eine erste Bewertung der Leistungen vornehmen. Da Corona aber viele Pläne über den Haufen warf, haben wir die "Schonfrist" großzügig auf 300 Tage verlängert und schauen erst jetzt genauer hin, ob sich die neuen Bürgermeister und Gemeinde- bzw. Stadträte in Ebersberg, Grafing und Kirchseeon wirklich so gut bewährten, wie sie und ihre Parteien dies dem Wähler versprochen haben.

In "Grafing 2030" bzw. "Der Kirchseeonplan" hatten die Grafinger bzw. Kirchseeoner CSU und deren Bürgermeisterkandidaten Christian Bauer bzw. Jan Paeplow dem Wähler im Wahlkampf viele Versprechungen gemacht. Wissend um die begrenzten Durchsetzungsmöglichkeiten der ihn stützenden, zahlenmäßig sehr kleinen SPD-Fraktion im Ebersberger Stadtrat verzichtete Ulrich Proske wohl bewusst auf ein umfangreiches und detailliertes Wahlprogramm.

Zu den ersten Amtshandlungen der neuen Gemeinde- und Stadträte gehört zumeist der Beschluss einer Geschäftsordnung. Die dem Genderzeitgeist erlegenen Mitglieder*innen des Kirchseeoner Gemeinderats brauchten fünf Monate Beratung, um schließlich in ihre Geschäftsordnung (GeschO) ein seltsames Kontaktverbot aufzunehmen: künftig soll es unter Strafe verboten sein, dass sich ein Bürger und ein Mitglied des Gemeinderats während einer Gemeinderatssitzung anlächeln, anblicken oder zuwinken... § 18 Abs. 1 Satz 4 GeschO: "Die persönliche Kontaktaufnahme zwischen Mitgliedern des Marktgemeinderates und anwesenden Zuhörer*innen während der Sitzung im Sitzungssaal ist nicht gestattet."

In allen drei Kommunen haben die Räte über die Geschäftsordnungen den Bürgermeistern sehr weitreichende Entscheidungsbefugnisse, die von Gesetzes wegen den Räten zustünden, übertragen. In der Praxis bewirkt diese freiwillige Selbstentmachtung der Räte, dass eine Vielzahl kommunaler Entscheidungen nun in der Nichtöffentlichkeit der kommunalen Verwaltung anstatt in öffentlichen Gemeinde- bzw. Stadtratssitzungen getroffen wird. Da mit der Machtübertragung auf die Bürgermeister jedoch keine gleichzeitige Stärkung der Informations- und Kontrollmöglichkeiten durch die Räte verbunden wurde, z.B. durch regelmäßige öffentliche Berichtspflichten des Bürgermeisters, können die Räte und die Öffentlichkeit das gemeindliche Handeln des Bürgermeisters nur unzureichend, falls überhaupt, kontrollieren.

Verweigert ein Bürgermeister, so wie Jan Paeplow, zudem den Bürgern fortwährend Auskünfte über gemeindliche Angelegenheiten (siehe die vielen unbeantworteten Fragen auf https://fragdenstaat.de - Kurz-URL https://tinyurl.com/17jfevnx), dann fördert das die Frustration der Bürger und verstärkt den Eindruck, dass Vetternwirtschaft und Selbstbedienung durch Intransparenz geschützt und gefördert werden sollen.

Die weitreichende Kompetenzübertragung an die Bürgermeister ist Folge einer unkritischen Übernahme großer Teile der Muster-Geschäftsordnung des Bayerischen Gemeindetags in die kommunalen Geschäftsordnungen, obwohl doch hinlänglich bekannt sein müßte, dass der Bayerische Gemeindetag vor allem die Interessen der Bürgermeister und kommunalen Verwaltungen, weniger der Räte und schon gar nicht der örtlichen Öffentlichkeit vertritt. Sicherlich erleichtert es den Bürgermeistern ihre Arbeit ungemein, einfach - auch über Ausgaben in Höhe von Zigtausenden von Euros - selbst zu entscheiden, anstatt erst einen Beschluß der Räte einholen zu müssen. Doch so wird die örtliche Demokratie ausgehöhlt und zur bloßen formalen Fassade degradiert.

Führt sich dann ein demokratisch nicht legitimierter "persönlicher Referent" als "Schattenbürgermeister" auf und begnügt sich der gewählte Bürgermeister mit der Rolle als dessen "Pressesprecher", dann verhöhnen so beide die Wähler. Die mit einem solchen "Rollentausch" verbundene Verantwortungsdispersion führt nicht nur bei den Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung zu Frustration, sondern wirft auch die Frage auf, weshalb der "persönliche Referent" dann nicht selbst bei den Kommunalwahlen kandidiert hat - vielleicht, weil er genau weiß, dass mit arrogantem Auftreten keine Wahl zu gewinnen ist und dass er dann seine ausgiebig ausgeübte Nebentätigkeit offenlegen müßte?

Aber wie engagiert haben sich denn nun die neuen Bürgermeister und Räte an ihre Arbeit gemacht? Rein quantitativ betrachtet, haben die Ebersberger am meisten geleistet und seit Mai 2020 rund doppelt so viel Tagesordnungspunkte (TOPs) im Stadtrat und den beschließenden Ausschüssen behandelt wie die Kirchseeoner; die Grafinger bearbeiteten auch noch anderthalb mal so viele TOPs wie die Kirchseeoner. Aber auch an den Themen wird deutlich, dass Christian Bauer und Ulrich Proske keine Zeit verstreichen ließen, um sich an die durch Corona erschwerte Bewältigung der anstehenden Aufgaben und die Umsetzung ihrer Wahlprogramme zu machen und diverse neue Impulse zu setzen. So reichen die Initiativen in Grafing beispielhaft von einer aktiven Gewerbepolitik zur Stärkung der Gewerbesteuereinnahmen durch Planung eines Gründerzentrums und "Co-Working-Spaces", über Verkehrsuntersuchungen und Radverkehrskonzept bis hin zu Glasfaser für Rathaus und Schulen und der Modernisierung und dem Ausbau der Feuerwehrhäuser. In Ebersberg befasste man sich unter anderem mit dem Breitbandausbau, der Generalsanierung des Hallenbads, einem Freiflächen-Photovoltaik-Standortkonzept, einem Konzept zum Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED und einem Nachverdichtungskonzept.

In Kirchseeon, das durch Corona finanziell vergleichsweise am stärksten getroffen wurde, fiel jedoch Jan Paeplow dazu außer einer Haushaltssperre bisher nur wenig ein. "Der Kirchseeonplan" scheint schon vergessen, kaum was wurde angepackt: Fehlanzeige bei der Wirtschaftsförderung zur Stärkung der schwachen Gewerbesteuereinnahmen und um den weiteren wirtschaftlichen Abstieg zu bremsen oder gar umzukehren, der neue Wohnraum auf dem ehem. Bundeswehrgelände ist nicht in Sicht (statt dessen droht die Rückzahlung von 375 TEUR an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wegen verspäteter oder gar keiner Erstellung der vereinbarten 15 Sozialwohnungen), keine Ertüchtigung der Feuerwehrhäuser, kein Fortschritt bei der Notversorgung für das Wasserwerk, es gelang keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der B304 und zur "Verkehrs-Allianz B304" wurde Jan Paeplow von den Anliegerkommunen gar nicht erst eingeladen. Nicht mal die versprochene Bestellung eines Familienbeauftragten, ein "Titel ohne Mittel", gelang ihm.

Aber auch an kleinen Dingen hapert es: die Haushaltssatzung ist wie üblich viele Monate verspätet, bei dem im Oktober 2020 von allen Bürgermeistern versprochenen "Rechenschaftsbericht" für die abgesagten Bürgerversammlungen ist nur in Kirchseeon Fehlanzeige zu vermelden.

Sicherlich muss man einem Quereinsteiger wie Jan Paeplow, der nur wenige der für ein Bürgermeisteramt erforderlichen Fachkenntnisse sowie keine Erfahrungen in der Personalführung eines "55-Mitarbeiter-Unternehmens" mitbrachte, eine gewisse Einarbeitungszeit zugestehen - aber wie lange noch und hat er sein "Lehrlingsgehalt" der Besoldungsgruppe B2, d.h. das 10-20fache eines Lehrlings in einem Ausbildungsberuf, wirklich "verdient"?

Nachtrag vom 3.3.2021: Ist es ein Zufall, dass der "Der Kirchseeonplan" von Jan Paeplow und der Eglhartinger CSU seit Erscheinen der Printausgabe des "Oberbayer" nicht mehr auf http://kirchseeon2020.1kcloud.com/ep12ymrg/#0 verfügbar ist?


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft März 2021, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm

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