Kirchseeon-intern.de - Wissens- und Sehenswertes aus Kirchseeon


November 2022

Ist das Kirchseeoner Moos noch zu retten?

Die Landschaft des südlichen und östlichen Landkreises Ebersberg wurde durch die gewaltigen Kräfte des Inntal-Gletschers während der letzten Eiszeit völlig umgestaltet. Die Gletscherzungen schoben Berge von Abraum vor sich her und türmten sie zu hohen Endmoränen auf. Die Phase des weitesten Vorrückens und die dabei entstandene Endmoränenkette im Südosten des Landkreises wird als Kirchseeoner Stadium bzw. Phase bezeichnet.

Als es nach dem letzten Kältemaximum vor etwa 20.000 Jahren langsam wärmer wurde, stauten sich im Raum zwischen Gletscherzunge und Endmoränen große Mengen an Schmelzwasser auf, da zunächst keine Abflussmöglichkeit bestand. In Kirchseeon, zwischen dem Dachsberg und dem Spannleitenberg, durchbrachen sie die Endmoränenkette und strömten in einem breiter werdenden Tal, nach der Form auch als "Trompetental" bezeichnet, in Richtung Nordwesten ab. Während im 19. Jahrhundert noch die wissenschaftliche Auffassung vertreten wurde, dass durch das Kirchseeoner Tal ein früher Inn floss, nimmt man heute an, dass durch Kirchseeon eine Zeitlang eine Ur-Moosach floss (von den Quellen beim Steinsee über Schattenhofen und Deinhofen).

Die sich zurückziehenden Gletscherzungen ließen auch riesige Eismassen, bedeckt von Abraumhalden, zurück. Durch das langsame Abschmelzen entstanden im Bereich der Endmoränen nicht nur zahlreiche trockenliegende Toteislöcher, sondern auch Seen wie der Osterseeoner bzw. Kirchseeoner See, der Egglburger See oder der Kitzlsee. Sie verlandeten nach und nach und bildeten Moore, in dem große Mengen Kohlendioxid in Torfmoosen fixiert und unter Sauerstoffabschluss bis heute konserviert sind.

Erste Pollenanalysen in Bohrproben aus dem Kirchseeoner Moos wurden bereits in den 1920er Jahren durch Wissenschaftler der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt. Anfang der 1970er Jahre wurden von der Universität Göttingen im Kirchseeoner Moos Bohrprofile bis in ca. 10 m Tiefe entnommen und nach einer Datierung mit der C14-Methode pollenanalytisch untersucht. So konnte die Vegetationsentwicklung in der Umgebung seit Ende der Eiszeit bis in die Gegenwart verfolgt werden. Erste Funde von Weizenpollen und damit von menschlicher Siedlungstätigkeit ließen sich auf das Neolithikum und die frühe Bronzezeit um etwa 3000 v. Chr. datieren. Die Ankunft der Römer bald nach der Zeitenwende ist durch das Auftreten von Roggenpollen gekennzeichnet.

Die zunehmende Besiedlung führte zu mehr Getreideanbau und damit mehr Getreidepollen im Torf. Der Umbau der Wälder von Laub- zu Nadelbäumen, der bereits im 17. Jahrhundert begann, ist die jüngste Phase der Vegetationsentwicklung, die durch den Pollen im Torf des Kirchseeoner Mooses archiviert wurde.

Die über 10.000 Jahre andauernde Neubildung von Torf und die damit verbundene Einspeicherung von Kohlendioxid fand jedoch 1922 ein jähes Ende. Ein Münchner Spekulanten, die im Kirchseeoner Moos Torf zur Brennstoffzwecken abbauen wollten, bauten trotz der Warnungen der Landesanstalt für Moorwirtschaft mit Unterstützung des damaligen Kulturbauamtes und des Bezirksamtes (=Landratsamt) Ebersberg einen verrohrten Entwässerungskanal zwischen Osterseeon und Pötting und senkten dadurch den Wasserspiegel um rund 7 Meter ab - der damaligen Sägemühle in Pötting, die damals im Besitz des Münchner Kunstmäzens Kajetan Schmederer war, wurde nicht nur sprichwörtlich das Wasser abgegraben. Doch abbauwürdigen Torf fand er keinen: die schwimmende Torfmoosdecke sackte - so wie die Wissenschaftler es vorhergesagt hatten - in sich zusammen und das Unternehmen endete in der Zwangsversteigerung.

Tiefe Entwässerungsgräben halten seitdem den Wasserstand dauerhaft niedrig. Und weil die Torfschichten nun nicht mehr wassergesättigt sind, zersetzt sich der Torf im Kirchseeoner Moos seit nunmehr 100 Jahren. Dabei bilden sich große Mengen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas.

Weil bei den Grundstücksvermessungen der Vermessungsämter bis vor kurzem keine Höhendaten erfasst wurden, kann man die Geländesetzungen und damit die Mengen des sich "in Luft auflösenden" Torfes nur grob abschätzen. Im Brucker Moos, das zeitgleich entwässert wurde, wurde bereits in den 1970er Jahren anhand der Höhe der Fundamente der Brücke in Bruck die Setzung des Mooses auf rund einen Meter abgeschätzt. Eine solche Abbaurate von 1-2 cm pro Jahr kann man auch an verschiedenen Stellen der Ende der 1990er Jahre neu erstellten Moosstraße beobachten.

Da die Oberfläche des Kirchseeoner Mooses durch den Torfschwund unweigerlich immer weiter absinkt, die Ablaufhöhe des Entwässerungskanals in Osterseeon aber gleich bleibt, drohen immer mehr Grundstücke "im Wasser zu verschwinden"; zu stellenweisen Überflutungen kommt es jetzt schon. Den Ruf nach teurer Hilfe durch den Kirchseeoner Steuerzahler hört man daher immer häufiger. Doch trägt nicht jeder Eigentümer eines Moosgrundstücks selbst die Verantwortung – und damit die Konsequenzen - für die Entscheidung, dass er oder seine Vorfahren "sehenden Auges" ein Grundstück auf sumpfigem Boden erworben und dort ein Haus gebaut haben?

Doch werden noch immer mehr und größere Wohngebäude im Moos errichtet. Kein einziges Moorgebiet im Landkreis ist inzwischen auch nur annähernd so zugebaut wie das Kirchseeoner Moos.

Waren es bis in die Kriegszeit nur einige feuchte Holzhütten, so kamen in der Nachkriegszeit nicht wenige Schwarzbauten mit oft erbärmlichen sanitären Verhältnissen dazu, weil das Landratsamt wegen der Wohnungsnot wegschaute. In den 1990er Jahren war der Druck zur Herstellung baurechtlich geregelter Zustände und einer geordneten straßen-, wasser- und abwasserseitigen Erschließung dann so groß, dass der Bebauungsplan Nr. 60 "Moos" mit einem Sondergebiet "Landschaftsschutzgebiet mit zu sanierender Wohnbebauung" aufgestellt wurde. Doch dieser wurde 2009 vom Verwaltungsgerichtshof München wegen Formfehlern für unwirksam erklärt, einerseits wegen Ausfertigungsmängeln und andererseits, weil es einen solchen Gebietstyp rechtlich gar nicht gibt.

Das primäre Ziel des Bebauungsplans war die Legalisierung der Schwarzbauten, nicht aber eine Ausweitung der Bebauung. Doch wer mit offenen Augen durch das Moos geht, stellte in den letzten 20 Jahren eine Zunahme der Wohnbauflächen weit über das einst vorgesehene Maß hinaus fest. Ja, noch toller, seit einiger Zeit treibt der Kirchseeoner Gemeinderat sogar den Ausbau einer Straße durch das Landschaftsschutzgebiet ebenso voran wie die Schaffung umfangreicher neuer Baurechte durch eine "Entwicklungssatzung Moos".

Abgesehen davon, dass jede Baumaßnahme mit dem Verlust großer Mengen Torf verbunden ist, der abgefahren wird und sich auf einer Deponie "in Luft auflöst", erhöht sich mit jeder weiteren Baugenehmigung der Druck auf eine dem Klimaschutz abträgliche Absenkung des Wasserspiegels im Moos, um die Bauten zu sichern.

Im Februar dieses Jahres beschloss der Kirchseeoner Gemeinderat zwar die Erstellung eines Gutachtens zu den Möglichkeiten einer Wiedervernässung einer kleinen Teilfläche im Osten des Mooses. Doch der Konflikt zwischen dem Klimaschutz und den Eigentumsrechten der "Moosler" bleibt weiterhin ebenso ungelöst wie die Grundsatzfragen unbeantwortet, welche Zukunft die Wohnbauten und die Infrastruktur im Moos überhaupt haben können und ob die "Versenkung" weiterer kommunaler Steuermittel im Moos wirtschaftlich und klimapolitisch verantwortbar ist, wenn langfristig doch alles wortwörtlich "im Wasser versinkt".

Zwar wird die Renaturierung und Wiedervernässung der Moore inzwischen auch von der Bundes- und Landespolitik als wichtiger Beitrag zum Klimaschutz gesehen. Doch wie schwierig das im konkreten Einzelfall ist und welche rechtlichen Hindernisse sich auftun, das erleben der Kreistag und die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts bei ihren Bemühungen um Renaturierung von kleinen Teilen des Brucker Mooses. Die Eigentumsrechte der landwirtschaftlichen Grundstücksbesitzer stehen jeder wirkungsvollen Maßnahme zum Klimaschutz entgegen, mehr als eine maßvolle Anhebung des Wasserstands und eine Bewirtschaftung mit Wasserbüffeln scheint bislang nicht möglich.

Es wird sich daher über kurz oder lang die Frage stellen, ob die Eigentumrechte privater Besitzer von entwässerten Moorflächen weiterhin Vorrang vor dem öffentlichen Interesse auf Klimaschutz haben können. Oder anders formuliert: kann der Weg zu einer Wiedervernässung des Kirchseeoner Mooses nur durch Enteignungen gegen Entschädigung eröffnet werden? Wem das (noch) undenkbar scheint, der sei darauf hingewiesen, dass bei der Zwangs-PV-Pflicht auf Bestandsgebäuden viele keine Bedenken mehr haben, Eingriffe in das Eigentumsrecht der Hausbesitzer vorzunehmen.


Dieser Artikel ist eine korrigierte und fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft November 2022, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




  © 2011-2023 · L. Steininger · E-Mailemail senden