Kirchseeon-intern.de - Wissens- und Sehenswertes aus Kirchseeon


Februar 2023

Negativbeispiel: Bus-Wartehäuschen am Bahnhof Kirchseeon

Vogeltod an der Glasscheibe

Unsere Vögel leben gefährlich. Viel diskutiert, aber nur bei einigen Arten zahlenmäßig relevant sind die Kollisionsopfer von Windmühlen. Hingegen sollen rund 70 Millionen Vögel jedes Jahr nach einem Zusammenstoß mit einem Kfz oder einem Zug sterben. Noch viel mehr werden Beute der inzwischen rund 16 Millionen Katzen in Deutschland.

Ähnlich viele, nämlich jährlich rund 100 bis 115 Millionen Vögel verunglücken nach einer Hochrechnung der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten in Deutschland durch Zusammenstoß mit einer Glasscheibe. Dies sind etwa 5-10 % aller im Jahresverlauf in Deutschland vorkommenden Vögel. Schätzungen zufolge kollidieren mit einem Einfamilien-, Doppel- und Reihenhaus etwa 2 Vögel pro Jahr und an mehrstöckigen Wohn-, Gewerbe- und Schul- und Verwaltungsgebäuden treten über 20 Vogelschläge pro Jahr auf.

Vögel können mit Glasflächen kollidieren, wenn sie attraktive Objekte anfliegen wollen, die sie hinter transparenten Glasscheiben sehen oder die sie in Spiegelungen zu erkennen glauben. Verglasungen an Gebäudekanten, Glasflächen in der Nähe zu Büschen und Bäumen, freistehende transparente Lärmschutzwände und Glasbrüstungen, transparenter Wetterschutz an ÖPNV-Haltestellen, verglaste Verbindungsgänge, Wintergärten, verglaste Terrassen und anderer Windschutz erhöhen die Gefahr eines Vogelanpralls. Fast alle Vogelarten sind betroffen, sowohl heimische Brutvögel wie auch Zugvögel und Wintergäste. Mindestens jeder zweite Vogel stirbt nach einem Anprall.


Noch ein Negativbeispiel: Übergang zwischen zwei Gebäuden in Kirchseeon-Dorf

Die Vermeidung von Vogelkollisionen mit Glasflächen ist daher eine wichtige Aufgabe des Artenschutzes. Das Bundesnaturschutzgesetz spricht ein Tötungs- und Verletzungsverbot für besonders geschützte Tierarten aus. Bei "signifikant erhöhtem Tötungs- und Verletzungsrisiko" dürften Neubauten mit besonders vogelschlaggefährlichen Glasbauteilen ohne Vermeidungsmaßnahmen nicht mehr realisiert werden, bestehende Bauwerke müssten nachgebessert werden.

Nach Auffassung der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten sind jährlich zwei Vogelschlagopfer auf 100 m Fassadenlänge noch als "normal" anzusehen, erst bei mehr als doppelt so vielen ist das Risiko "signifikant erhöht" und spätestens dann sind Maßnahmen erforderlich.

Um privaten und öffentlichen Bauherren, Architekten und Planern, Baufirmen und den bau- und naturschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden konkrete Hilfestellungen zu einer vogelfreundlichen Gestaltung von Glasflächen zu geben, hat die Schweizerische Vogelwarte Sempach zusammen mit Landes- und Bundesbehörden und vielen europäischen Umweltorganisationen wie LBV, BUND und NABU im Dezember die dritte, überarbeitete Auflage der Fachpublikation "Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht" herausgegeben. Es ist das umfassendste deutschsprachige Werk zu diesem Thema.

Auf 65 Seiten gibt die Broschüre einen Überblick über den gegenwärtigen Stand des Wissens und veranschaulicht mit zahlreichen Bildern von Glasbauten und -flächen, wie man kollisionsgefährdete Glasflächen erkennt und mit welchen, oft einfachen Maßnahmen das Kollisionsrisiko für Vögel auch nachträglich reduziert werden kann. Ausführlich werden auch die Flugtunnelversuche der ornithologischen Forschungsstation Hohenau-Ringelsdorf (Österreich) geschildert, wo seit Jahrzehnten Methoden zur Vermeidung von Vogelanprall erforscht werden und wertvolle Erkenntnisse zur optischen, kollisionsminimierenden Gestaltung von Glasflächen gewonnen wurden.

Vögel können senkrechte Linien erst ab 5 mm Breite wahrnehmen. Abstände von maximal 95 mm sind erforderlich, damit Vögel nicht zwischen ihnen hindurch fliegen wollen. Bei horizontalen Linien genügen 3 mm Breite bei einem maximalen Abstand von 47 mm. Der Lichtverlust durch diese Markierungen ist nur sehr gering (5-6 %). Damit ein Vogel die Markierung gut erkennen kann, ist ein guter Kontrast Voraussetzungen. Die Markierung sollte auf der Außenseite der Glasscheibe aufgebracht sein, damit sie auch bei Reflexionen sichtbar ist. Auch für Punktmuster gibt es inzwischen Erfahrungswerte und Empfehlungen.


Positivbeispiel: S-Bahn-Wartehäuschen am Bahnhof Kirchseeon (ja, sogar die DB AG lernt manchmal dazu:-)!

Die Wiener Umweltanwaltschaft, Mitherausgeber der Broschüre, schreibt auf ihrer Internetseite: "Die in guter Absicht aufgeklebten Greifvogelsilhouetten sind leider wirkungslos. Schon Konrad Lorenz hat nachgewiesen, dass sich ein Greifvogel in der für ihn typischen Art und Weise bewegen muss, um von seiner Beute als Feind erkannt zu werden. Aus diesem Grund lösen Vogelaufkleber keine Fluchtreaktion aus und viele Vögel prallen unmittelbar neben diesen Aufklebern gegen die Glasscheibe. Auch sogenannte 'UV-Markierungen' verhindern Vogelanprall nur unzureichend oder gar nicht."

Eine umfangreiche Übersicht über getestete Vogelschutzprodukte, die teilweise auch für die Nachrüstung bestehender Glasflächen geeignet sind, macht die Publikation für die konkrete Anwendung in der Praxis wertvoll.

Trotz all dieses Wissens weist, wie man z.B. an dem abgebildeten "vogelgefährlichen" Buswartehäuschen am Bahnhof Kirchseeon sehen kann, die kommunale Verwaltungspraxis noch erhebliche Defizite auf. Zwar scheinen diese und ähnliche Broschüren in manchen Gemeinden durchaus bekannt zu sein, doch stellt das Landratsamt Ebersberg klar, dass "die Frage der Kollision von Vögeln mit Glasflächen [...] nicht Gegenstand des baurechtlich möglichen Prüfumfangs im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren" wäre. Eine Berücksichtigung im Baugenehmigungsverfahren ist daher rechtlich nur eingeschränkt möglich, z.B. bei der Oberlichtgestaltung großer landwirtschaftlicher Bauten oder bei Lärmschutzwänden.

Immerhin präsentiert das Landratsamt eine "kreative" Idee zum Vogelschutz: "Da der Reflexionsgrad von Glasscheiben auch mit deren Reinigungsrad zusammenhängt, haben wir uns vor zwei Jahren dazu entschlossen die Glasflächen nur mehr einmal statt wie früher zweimal im Jahr zu reinigen. Hoch gereinigte Glasflächen spiegeln die Umgebung wesentlich stärker wieder als weniger gut gereinigte Glasflächen..."


Dieser Artikel ist eine erweiterte Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Februar 2023, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




  © 2011-2023 · L. Steininger · E-Mailemail senden