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Mai 2020 Ablasshandel mit der Natur"Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich … so zu schützen, dass die biologische Vielfalt, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind."Man möchte glauben, dass diese Ziele des Bundesnaturschutzgesetzes in einer Zeit, in der sich Millionen für die Rettung von Bienen und anderer Insekten sowie gegen immer mehr Flächenverbrauch einsetzen, von einer Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen würden. Doch weit gefehlt. Denn wenn es vor Ort konkret wird, dann werden Natur und Landschaft oft bereitwillig dem Klimaschutz (Windmühlen, Solarparks, Radwege, Eisenbahntrassen), der Wirtschaft (Straßen, Siedlungen, Gewerbeflächen) oder der Landwirtschaft (Biogasanlagen, Mais- und Futtergras-Monokulturen) geopfert. Der Vorrang der Vermeidung von erheblichen Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft, wie es das Bundesnaturschutzgesetz fordert, ist dann ganz schnell vergessen – oft auch von Vertretern derjenigen Partei, zu deren erklärten Zielen der Umwelt- und Naturschutz gehört. So hält der Ebersberger Kreistag trotz des für ihn negativen Ausgangs des Zonierungsgutachtens am Windmühlenprojekt im Landschaftsschutzgebiet Ebersberger Forst fest und meint, sich mit einem Bürgerentscheid über die naturschutzrechtlichen Einwände hinwegsetzen zu können. Auch beim aktuellen Vorhaben der Gemeinde Kirchseeon, eine unbedeutende Sackgasse im Landschaftsschutzgebiet Kirchseeoner Moos zu verbreitern und zu versiegeln, scheint der Naturschutz gegenüber dem Eigeninteresse einiger weniger, im Gemeinderat aber lautstark vertretener Anlieger keine Rolle zu spielen. Sind bei einem konkreten Projekt erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft unvermeidlich, so fordert das Bundesnaturschutzgesetz, dass diese Eingriffe durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder, soweit dies nicht möglich ist, durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren sind. Kann die Zerstörung eines Biotops mit seltenen Tieren und Pflanzen überhaupt ausgeglichen oder ersetzt werden? Mit welchem Geldbetrag kann die Vernichtung des Lebensraums einer vom Aussterben bedrohten Tier- oder Pflanzenart angemessen kompensiert werden? Obwohl es offensichtlich ist, dass der Verlust von etwas Einzigartigem nicht ausgeglichen oder ersetzt werden kann, macht die bayerische Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft aus dem Jahr 2014 dennoch den Versuch, über ein Biotop-Bewertungssystem eine bayernweit einheitliche Anwendungspraxis der naturschutzrechtlichen Ausgleichsregeln zu erreichen. Kritiker wie der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn werfen der Kompensationsverordnung daher vor, dass sie "nicht das Gelbe vom Ei ist, weil sie das Prinzip der Vermeidung von Eingriffen nicht an erste Stelle setzt und weil das Prinzip der Realkompensation, des tatsächlichen Ausgleichs von Eingriffen, hintenangestellt und durch einen merkwürdigen Ablasshandel mit Ökokonten und dergleichen abgelöst wird." Denn bei der konkreten Umsetzung des Ausgleichs hapert es gewaltig. So wurde vor einigen Jahren in einem vom Landesamt für Umwelt (LfU) zusammen mit der Unteren Naturschutzbehörde im Ebersberger Landratsamt durchgeführten Modellprojekt zum Ausgleichsflächenmonitoring mit dem sperrigen Titel "Entwicklung einer Methodik für Kontrollen von Ausgleichs- und Ersatzflächen am Beispiel der Umsetzungssituation von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Landkreis Ebersberg" festgestellt, dass nur "rund 20 % der Flächen im Landkreis Ebersberg keine Mängel, rund 29 % der Flächen geringe Mängel und rund 24 % größere Mängel aufwiesen. Auf rund 26 % der Flächen war bislang keine Umsetzung der Maßnahmen erkennbar.". 10% der Fläche wurden gar zweckentfremdet genutzt. Erschwert wird eine Kontrolle der Ausgleichsverpflichtungen durch eine unzureichende Meldung der Flächen an das Ökoflächenkataster beim LfU. Im Bayerischen Ökoflächenkataster werden seit 1998 alle ökologisch bedeutsamen Flächen in einer zentralen und im Internet einsehbaren Geo-Datenbank erfasst. Keine Behörde überprüft aber, ob alle Flächen gemeldet werden. Auch scheint sich niemand dafür zu interessieren, ob eine Ausgleichsfläche noch besteht oder womöglich zwischenzeitlich schon einer anderen Nutzung zugeführt wurde, so wie dies bei dem im obigen Bild dargestellten Parkplatz nahe des Gymnasiums Kirchseeon der Fall ist. Dort sollte sich laut Ökoflächenkataster eigentlich eine Ausgleichsfläche befinden... Dies macht deutlich, dass nur durch regelmäßige Kontrollen die fachlich richtige Umsetzung der Ausgleichsverpflichtungen gewährleistet werden könnte. Die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt ist trotz personeller Verstärkung überfordert, die weit mehr als 1600 Ausgleichsflächen im Landkreis mit einer Gesamtfläche von mehr als 600 Hektar regelmäßig zu prüfen. Dies könnte nur gelingen, wenn auch die Gemeinden als Hauptverursacher des Flächenverbrauchs und der Flächenversiegelung dabei maßgeblich mithelfen. Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Fassung in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Mai 2020. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm
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