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Oktober 2024

Kirchseeon: 1 Jahr nach dem Bürgerentscheid

Beim landkreisweiten Bürgerentscheid über die Windmühlen im Ebersberger Forst im Mai 2021 war zwar nur eine hauchdünne Mehrheit dafür. Doch auch wenn Einzelne mit dem Ergebnis nicht einverstanden waren und sind, wird diese Wählerentscheidung auch heute noch, 4 Jahre danach, weithin akzeptiert. Eine gesellschaftliche Befriedung nach langen und hitzigen Diskussionen wäre sonst gar nicht möglich.

Anders in Kirchseeon nach dem Bürgerentscheid vom 8. Oktober 2023 zur Überplanung des ehemaligen Schwellenwerksgeländes. Kaum stand fest, dass eine klare Mehrheit von 60% gegen das Projekt gestimmt hatte, wurde das Votum von einigen in Frage gestellt - allen voran vom Bürgermeister und seiner Eglhartinger CSU, wohl weil deren Vorstellung von einer "gelenkten Demokratie" (so lautete die Überschrift eines Artikels im "Oberbayer" im Januar 2023) krachend gescheitert war.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat bereits 1994 geklärt, dass das bei Wahlen für den Staat und die Gemeinden geltende Neutralitätsgebot in Verfahren der Volksgesetzgebung nicht gilt und dass an seine Stelle ein Sachlichkeitsgebot (Objektivitätsgebot) tritt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof meinte wenig später, dass das für den Volksentscheid geltende Sachlichkeitsgebot auch für den Bürgerentscheid gälte, denn beide seien vergleichbare Institutionen der direkten Demokratie.

Beim Bürgerentscheid in Kirchseeon hatten die Gemeinderäte die Wählerinformation zu einem großen Teil dem Hamburger Investor übertragen. Dieser ist aber gesetzlich ausschließlich seinem Eigenwohl verpflichtet und hat daher mit angeblich "objektiven" Moderatoren und vom ihm beauftragten Verkehrs-, Altlasten- oder Lärmgutachtern in "Bürgerdialogen" und "Arbeitskreisen" seine Sicht der Dinge den Bürgern nahe gebracht - kritische Nachfragen waren unerwünscht. Bei einer gerichtlichen Wahlanfechtung hätte sich der Gemeinderat diese interessengeleitete "Wählerinformation" zurechnen lassen müssen.

Das Vorhaben war von Anfang durch einen Mangel an Transparenz, Objektivität und Glaubwürdigkeit geprägt. Schon bevor "Der Oberbayer" als erstes Printmedium im April 2022 über die Pläne des Hamburger ECE-Konzerns zur "Revitalisierung" des ehemaligen Schwellenwerks berichtet hatte, hatten sich die Kirchseeoner Gemeinderäte mehrfach in nichtöffentlichen Sitzungen dazu getroffen. Selbst der Beschluss über die Abhaltung eines Ratsbegehrens sollte zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit fallen.

Davon konnte niemand überrascht sein, der seit dem Amtsantritt dieses Bürgermeisters verfolgt hat, was dieser unter "Transparenz" versteht: dem Rathauspersonal wurde ein "Maulkorb" verpasst, bislang offene Türen im Rathaus wurden zugesperrt, um Bürgern den Zugang zu den Sachbearbeitern zu erschweren, bei kritischen Bürgerfragen wurde das Mikrofon abgedreht, Bürger- und Pressefragen bleiben regelmäßig unbeantwortet, die Anzahl der nichtöffentlichen Sitzungen explodierte und der Umfang der "Rathaus-Prawda" verdoppelte sich.

Spätestens als er ihm unliebsame Wahlplakate zum Bürgerentscheid wiederholt durch Rathaus-Mitarbeiter abreißen ließ, drängte sich die Frage auf, ob er die Prägung durch den untergegangenen scheindemokratischen Arbeiter- und Bauernstaat DDR, in dem er in einer SED-Familie aufgewachsen ist, nicht überwunden hat. Denn dessen Ziel war die totale Kontrolle über die öffentliche Meinung und die Manipulation von Wahlergebnissen.

Immer mehr Wähler haben rechtzeitig gemerkt, welches Denken sich hinter einer scheinbar freundlichen Fassade versteckt und ihm beim Bürgerentscheid ihr Misstrauen ausgesprochen - denn viele reagieren sehr empfindlich, wenn sie jemand "fernsteuern" will.

Und auch die Hamburger Eigentümer der "EFFE Grundbesitzgesellschaft mbH" wollen offenbar das Votum der Kirchseeoner nicht akzeptieren. Aus ihrem "ECE-Stüberl" gegenüber der Schule scheinen sie allen im Ort unübersehbar zeigen zu wollen, wer sich als der neue "Herr im Hause" ansieht. Und dieser Anspruch sollte wohl durch das Schaffen von Fakten noch innerhalb der Bindungsfrist des Bürgerentscheids bekräftigt werden:

Am 29. Juli 2024 wurden Anwohner auf lärmintensive Arbeiten auf dem Gelände aufmerksam. Sie stellten fest, dass auf größeren Flächen der vorhandene Busch- und Baumbestand vollständig geschreddert und der Oberboden - wohl mit einem Grubber oder Häcksler - umgeackert worden war. Vorkehrungen gegen eine staubförmige Verbreitung von Altlasten-Schadstoffen waren scheinbar nicht getroffen worden. Und sollten sich Reptilien wie die geschützte Schlingnatter auf den bearbeiteten Flächen aufgehalten haben, dann dürften sie nun wohl in Stücke zerhackt sein.

Das Landratsamt Ebersberg verfügte die unverzügliche Einstellung dieser Arbeiten, die ohne Absprache und mitten in der Brutvogelschutzzeit erfolgt waren.

Die Fa. EFFE konnte bislang nicht überzeugend erklären, warum diese Arbeiten - zudem ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt - durchgeführt wurden. Könnte der Termin kurz nach Beginn der bayerischen Sommerferien vielleicht gar nicht Zufall sein? Hoffte man, dass Anwohner und Behörden im Urlaub sind und es keiner merkt, wenn schützenswerte Flora und Fauna beseitigt wird, um so leichter Baurecht zu erlangen? Transparenz scheint nicht die Stärke dieser Firma zu sein, denn auch eine Anfrage des "Oberbayer" blieb unbeantwortet.

Derzeit werden von den Fachbehörden weitere Sachverhaltsermittlungen, auch im Hinblick auf etwaige strafrechtlich relevante Handlungen, durchgeführt. Auch wird geprüft, ob weitere Oberbodenuntersuchungen erforderlich sind. Möglich erscheint zudem neuerdings, dass in Teilbereichen des Geländes bereits Wald im Sinne der Waldgesetze entstanden ist.

Zu den vielen Hindernissen, die einer "Revitalisierung" des Schwellenwerksgeländes seit Jahrzehnten und auch weiterhin entgegen stehen und die teilweise unlösbar scheinen, käme dann noch ein weiteres gravierendes hinzu.

Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Oktober 2024, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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