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September 2024

130 Jahre Lokalbahn Grafing-Glonn - Teil 1

Angesichts des heutigen finanziellen und verkehrlichen Dramas bei der DB AG glauben manche, dass früher bei der Eisenbahn alles besser gewesen wäre. Doch ein Rückblick auf die Entstehungsgeschichte der vor 130 Jahren in Betrieb genommenen Lokalbahn Grafing (Bahnhof) – Glonn zeigt, dass schon damals lokale und persönliche Interessen von Entscheidungsträgern oft mehr Gewicht besaßen als verkehrliche und wirtschaftliche Aspekte. Und so wurde im Jahr 1894 bereits der Keim für die Stilllegung der Bahnlinie im Jahre 1970/71 [1] gelegt, was bei der Eröffnungsfeier wohl keiner ahnte – auch wenn es schon damals an kritischen Stimmen nicht mangelte [6],[7].

Eines ist aber sicher: ohne die massive Ausbreitung von Lymantria monacha ab 1889 in den Wäldern rund um München wäre es nicht zum Bau der Lokalbahn gekommen. Dieser Eulenfalter mit einer Flügelspannweite von nur 3-5 cm, der wegen seines Erscheinungsbildes und seines lateinischen Namens auch Nonne genannt wird, schaffte es sogar zum Wappentier Kirchseeons. Eine detaillierte Beschreibung der Massenvermehrung der Nonne mit zahlreichen zeitgenössischen Dokumente finden Sie auf diesen Webseiten im Abschnitt Ortsgeschichte-Nonnenplage 1889-1891.

Für die Bekämpfung des Schadinsekts, das Fällen der absterbenden Bäume, den Abtransport und den Verkauf des Holzes in ganz Süddeutschland standen den staatlichen Forsten die gewaltigen finanziellen und materiellen Ressourcen des bayerischen Staats zur Verfügung. Die Besitzer der Gemeinde- und Privatwälder im Osten Münchens waren hingegen weitgehend auf sich allein gestellt und riefen daher nach staatlicher Hilfe – doch von dem kam nichts außer einer Aufklärungsbroschüre, Beratung durch Forstbeamte und kostenlosem Raupenleim.

Um das Schadholz leichter abtransportieren zu können, initiierte der Glonner Landtags- und Reichtstagsabgeordnete Wolfgang Wagner sen., Posthalter, Besitzer des Gasthofs "Zur Post" und selbst Waldbesitzer, im Frühjahr 1891 ein Komitee für einen Eisenbahnanschluss. Die ministerielle Genehmigung zur Planung der Lokalbahn Grafing-Glonn kam schon Anfang Juni, die Projektierungsarbeiten durch die private Münchner Localbahn AG begannen.

Doch weil die kalkulierten Kosten von 759.000 Mark (lt. Planentwurf der Localbahn AG vom August 1891 im Archiv der Marktgemeinde Glonn, Sign. 8/500/1) viel zu hoch erschienen, ging es zunächst nicht weiter. So kam die Nonnenplage zu ihrem Ende, aber nach Glonn führte immer noch kein Gleis. Bei der politischen Aufarbeitung der Nonnenkalamität in der Abgeordnetenkammer des Landtags im März 1892 [2] warf Wagner dem Staatsminister vor, dass nach seiner Ansicht das Versagen der Ministerialbürokratie in München für das Ausmaß der Kalamität verantwortlich gewesen sei. Und er erneuerte seine Forderungen nach staatlicher Hilfe für die notleidende Region.

Für die Lobbyarbeit im Landtag war es sicher hilfreich, dass Wagner Mitglied im "Ausschuss zur Berathung der Gesetzentwürfe, betr. die Herstellung von Bahnen lokaler Bedeutung und die Herstellung von Bahnen lokaler Bedeutung in der Pfalz" war. Zwar konnte damals eine Bahnlinie auch durch private Kapitalgesellschaften wie die Localbahn AG München errichtet werden, doch diese bauten nur solche Strecken, die mit hoher Sicherheit profitabel waren. Die Glonner Strecke zählte da eher nicht dazu, daher blieb nur der Staat als Geldgeber.

Wagner setzte sein Drängen und Lobbyieren unbeirrt fort und war am Ende erfolgreich: die Kammer der Abgeordneten beschloss in der Sitzung vom 31. März 1892 den Bau einer "abgespeckten" Trasse [3]. Prinzregent Luitpold unterzeichnete das "Gesetz die Herstellung von Bahnen lokaler Bedeutung betreffend" am 26. Mai 1892 und gab unter der lfd. Nr. 3 für den Bau Steuergelder von 546.200 Mark frei [4]. Die Linie Grafing-Glonn hätte seinerzeit fast das politische "Nord-Süd-Gleichgewicht" des Lokalbahngesetzes gestört, wenn man nicht in Nordbayern als Ausgleich die Strecke Neuenmarkt-Goldmühl in den Gesetzentwurf aufgenommen hätte.

Der Bau für die 11 km lange Strecke begann am 27. Juli 1893, am 26. Mai 1894 war die Eröffnungsfahrt. Der Regelbetrieb mit täglich 3 Zügen in jeder Richtung [5] wurde am Folgetag aufgenommen.

In den "Nabeln des Landkreises", in Ebersberg und Grafing, war man überhaupt nicht begeistert, (zunächst) vom Eisenbahnfortschritt ausgeschlossen worden zu sein. Die Münchner Neuesten Nachrichten meinten in ihrem Bericht von der Eröffnungsfeier [6]: "Erwähnt sei noch, …, dass ursprünglich das Bauprojekt auf Ebersberg-Grafing-Glonn lautete und erst, als die entscheidenden Faktoren für das Ganze nicht zu gewinnen waren, der Theil Grafing Glonn durch Herrn Wolfg. Wagner gerettet wurde. Die Quittung hierüber gab der Ebersberger Bezirk durch die Nichtwiederwahl Wagner’s in den Landtag." Der Landtagsabgeordnete Dr. Daller stellte in seiner Eröffnungsrede in Aussicht, dass die Abgeordnetenkammer nunmehr für eine Lokalbahn Grafing-Ebersberg-Steinhöring-Wasserburg zu haben sein werde und dass hoffentlich schon in drei Jahren die Eröffnung in Ebersberg gefeiert werden könne [7]. So schnell ging es dann doch nicht: 1899 wurde die Bahn nach Ebersberg eröffnet, die Wasserburger mussten bis 1905 warten.

Bereits 1894 beschrieb Hugo Marggraff in seinem Standardwerk über die Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen [8], dass diese nur mit einer einfachen Einnahmen-Überschussrechnung bilanzierten. Darin wurden weder Rückstellungen für Erneuerungen noch entgangene Zinserlöse für das aufgenommene Kapital (sog. kalkulatorische Kosten) berücksichtigt. Die errechneten Überschüsse, meist im niedrigen einstelligen Prozentbereich, reichten in Wirklichkeit weder für die Kreditzinsen, noch für die Instandhaltung. Kein Wunder, dass der Schuldenberg wuchs und wuchs. Doch darüber mehr im 2. Teil.

[1] Amtsblatt der Bundesbahndirektion München, Nr. 12 vom 17. März 1971
[2] Stenographischer Bericht der 239. Sitzung der Kammer der Abgeordneten des Landtags vom 11. März 1892
[3] Stenographischer Bericht der 250. Sitzung der Kammer der Abgeordneten des Landtags vom 31. März 1892
[4] Gesetz, die Herstellung von Bahnen lokaler Bedeutung betreffend, vom 26. Mai 1892
[5] Münchner Neueste Nachrichten, Morgenblatt, Nr. 191 vom 25. April 1894, S. 4
[6] Bericht von der Eröffnung der Lokalbahn in den Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 242 vom 29. Mai 1894, S. 2-3
[7] Bericht von der Eröffnung der Lokalbahn in der Augsburger Abendzeitung, Nr. 145 vom 28. Mai 1894, S. 3
[8] Hugo Marggraff, Die Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen in geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum fünzigsten Jahrestage der Inbetriebsetzung der ersten Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg am 1. Oktober 1844; bearbeitet unter Benützung amtlichen Quellenmaterials; München 1894


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft September 2024, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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