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September 2023

Kirchseeon: Arm, und auch nicht sexy

Seit dem Tag der Eröffnung am 1. März 1974 "produzierte" das damals ca. 2,3 Mio. DM teure Kirchseeoner Hallenbad Verluste. Bereits im Juli 1979 warf daher die CSU in ihrer "Information" dem Bauherrn, dem SPD-Bürgermeister Arnold, vor, dass das jährliche Defizit in dessen Amtszeit bereits auf das Doppelte des vom Gemeinderat beim Baubeschluss kalkulierten Minus von 120-150.000 DM angewachsen sei.

Doch auch sein Nachfolger Miethaner wusste es nicht besser. Im Februar 1981 berichtete die SZ, dass das Kirchseeoner Hallenbad inzwischen einen Zuschussbedarf von 336.000 DM habe. Die CSU musste in ihrer „Information“ im Juni 1992 sogar eingestehen, dass am Ende der zwei Perioden Miethaners das jährliche Defizit bereits 400.000 DM betrug und sich der Gemeinderat bei seiner einstigen Bauentscheidung "nicht nur einen technisch veralteten Ladenhüter […], sondern auch einen Defizitbetrieb ohne Ende" hatte andrehen lassen.

Doch trotz häufiger Reparaturen, Verbesserungen und "Generalsanierungen" wuchsen die jährlichen Defizite weiter, nur stand ab 2002 hinter den Zahlen nicht mehr "DM", sondern "EUR".

Das endgültige Aus schien bereits 2010/11 ganz nahe, doch nach Bürgerprotesten mit der "Androhung" eines Bürgerentscheids nahm der Gemeinderat davon wieder Abstand. Danach gab es einige Sparmaßnahmen und viele geschönte Bilanzzahlen.

Nun ist es für Kommunen nahezu unmöglich, ein Schwimmbad kostendeckend zu betreiben. Beispiele dafür finden sich im Landkreis zuhauf. Gemeinderäte müssen sich daher wiederkehrend die Frage beantworten: können und wollen wir uns die jährlichen Defizite noch leisten?

Betrachtet man die Kirchseeoner Hallenbad-Defizite im Verhältnis zur Höhe des Verwaltungshaushalts (1977: ca. -250 TDM/ca. 6,2 Mio. DM = -4 %; 2021: ca. -300 TEUR/ca. 20 Mio. EUR = -1,5 %), dann stellt man fest, dass die Verwaltungshaushalte über die Jahrzehnte prozentual stärker wuchsen als die Defizite. Die jährlichen Betriebsdefizite machen daher einen immer geringeren Anteil des Haushalts aus und können nicht als Begründung für eine endgültige Schließung des Schwimmbads herhalten.

Auch das Ebersberger Hallenbad wurde im Jahr 1974 eröffnet. Und zuletzt waren die jährlichen Defizite auch ähnlich hoch. Doch verfügt Ebersberg im Vergleich zu Kirchseeon dank einer Bevölkerung, die pro Kopf rund 25% mehr verdient, und vieler profitabler Gewerbeunternehmen, die fünfmal soviel Gewerbesteuer zahlen, in der Summe über etwa doppelt so hohe Steuereinnahmen. Daher war es Ebersberg auch möglich, die Sanierung des Hallenbads bei geplanten Kosten von rund 10 Mio. EUR und in Erwartung umfangreicher staatlicher Subventionen anzugehen. Kirchseeon hingegen sieht sich bereits durch eine angeblich 8 Mio. EUR teure Sanierung überfordert - trotz ebenfalls zu erwartender Zuschüsse.

Die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Kommune wird durch ihre Steuereinnahmen bestimmt. Ein Maß dafür ist die jährlich veröffentlichte statistische Kennzahl der "Steuerkraft". Darin werden im Wesentlichen die gemeindlichen Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuer sowie die Gemeindeanteile an der Einkommenssteuer, der Umsatzsteuer und einigen anderen kleineren Steuern erfasst.

Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, hat sich die Pro-Kopf-Steuerkraft der Gemeinde Kirchseeon im Landkreisvergleich ab der Ära Bittner (SPD), besonders gravierend aber während der 18 Jahre dauernden Herrschaft Ockel (CSU) von einem "Mittelfeldplatz" auf einen "Abstiegsplatz" verschlechtert. Das hinderte den Gemeinderat nicht, beiden wegen ihrer "Verdienste" (???) den Ehrentitel Altbürgermeister zu verleihen..

Und mit Paeplow (CSU) geht es weiter steil bergab. Zur Verschleierung der schlechten Bilanz seiner ersten drei Jahre löschte er gar aus dem Haushaltsbericht 2023 den bisher enthaltenen Landkreisvergleich der Steuerkraft - Transparenz sieht anders aus!

Kirchseeon lebt seit Jahren von der Substanz und rettet sich durch Erhöhung der Ortssteuern auf Landkreisspitzenwerte und zuletzt durch Immobilienspekulation (ehem. Bundeswehrgelände) oder den Verkauf von "Tafelsilber" (z.B. Wohngebäude in der Siedlerstrasse) von einem Haushaltsjahr zum nächsten.

Hohe Ortssteuern und -gebühren bei immer weniger kommunalen Leistungen und schlechterer Infrastruktur machen Kirchseeon für Bürger, die sich auch anderswo ein Haus oder eine Wohnung leisten könnten, immer weniger attraktiv - die "Abstimmung mit den Füßen" läuft schon seit vielen Jahren. Der Abwärtstrend scheint unaufhaltsam.

Um die desolate finanzielle Lage der Gemeinde zumindest langfristig zu verbessern, müsste ortsplanerisch und strukturpolitisch energisch umgesteuert werden. Doch anstatt die örtliche Kaufkraft zu stärken und eine aktive Gewerbepolitik zu betreiben, wollen der Bürgermeister und eine Mehrheit im Gemeinderat auf dem ehem. Schwellenwerksgelände viele tausend, wirtschaftlich eher schwächer gestellte Menschen in zahlreichen Wohnblöcken mit hohen Folgekosten ansiedeln und Arbeitsplätze soll es auch kaum geben.

Die Aussichten auf Besserung sind für die Gemeindebürger sehr trübe, denn die personelle und intellektuelle Erneuerung des politischen Personals, das offensichtlich komplett versagt hat, steckt noch in den Anfängen.

Zwar schieden in dieser Periode mit den Gemeinderäten Siegfried Seidinger (CSU, seit 1996 mit Unterbrechung im Gemeinderat) und Thomas Kroll (SPD, seit 1990 im Gemeinderat) bereits zwei Personen aus, die für den Niedergang maßgeblich mitverantwortlich sind. Doch die Abkehr von einer fraktionsübergreifenden Selbstbedienungsmentalität hin zu einer allein dem Gemeinwohl verpflicheten Gemeindepolitik wird mit Alfons Bauer (CSU, seit 1996 im Gemeinderat), Barbara Burgmayr-Weigt (CSU, Ilching, seit 1996 im Gemeinderat), Peter Kohl (CSU, Eglharting, seit 1990 mit Unterbrechung im Gemeinderat), Christoph Rothbauer (CSU, Eglharting, seit 2002 im Gemeinderat), Klaus Viellechner (UWG, seit 1996 im Gemeinderat) und Klaus Seidinger (UWG, seit 2002 im Gemeinderat) wohl nicht möglich sein.

Der Gemeinderat wird daher immer häufiger aus der Kämmerei hören müssen: das können wir uns nicht leisten – nicht nur bei der Sanierung des Hallenbads und der Schule Eglharting, auch bei der energetischen Umstellung der gemeindlichen Gebäude weg vom Gas.

Verschärft wird die finanzielle Lage noch durch den Kreistag, der meint, dass er die von Landrat Niedergesäß und seiner Kämmerin Keller verursachten riesigen Löcher im Kreishaushalt (Stichworte: Briefkastenfirmen in St. Hubertus, PPP Gymnasium Kirchseeon, "Budgetübertrag", Kreissparkassengebäude in Ebersberg) auf Kosten der Landkreiskommunen stopfen könne. Dabei ignoriert er die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 27.09.2021, Az. 8 C 30.20) : "Nach Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes muss der Landkreis bei der Festsetzung der Kreisumlage den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden ermitteln und ihn gleichrangig mit dem eigenen berücksichtigen."

Doch ohne den Bedarf der Gemeinden zu ermitteln und zu berücksichtigen, hat der Kreistag den Hebesatz seit 2021 um 2,5 auf inzwischen 48,5 Prozentpunkte erhöht. Kirchseeon muss die Hälfte seiner Steuereinnahmen an den Landkreis überweisen – allein seit 2021 ca. 600.000 EUR jährlich mehr. Und in der derzeitigen Haushaltsdebatten im Kreistag wird bereits angekündigt, dass ab kommenden Jahr noch hemmungsloser in die Taschen der Gemeinden gegriffen werden soll. Spätestens dann müsste sich der Kirchseeoner Gemeinderat ernsthaft überlegen, ob man - als einzige Gemeinde im Landkreis - dem Bürgermeister neben einem halben Dutzend "Öffentlichkeitsarbeiter" (der BKPV beziffert die Kosten einer Vollzeitstelle inkl. Sach- und Verwaltungskosten auf rund 98.000 EUR/Jahr) auch noch die Stelle einer Photographin (!!!) genehmigen kann und will.

Zur Rettung des Hallenbads könnten deutliche Schreiben an den Landrat und den Kreistag vielleicht mehr beitragen als hilflose Bettelbriefe an den Ministerpräsidenten. Aber da die jährlichen Proteste des Grafinger Bürgermeisters Bauer gegen die Erhöhungen des Hebesatzes der Kreisumlage im Kreistag Ebersberg bisher ungehört verhallt sind, ist die Zeit vielleicht nicht mehr fern, dass nichts anderes bleibt, als in einer nachbarlichen Zusammenarbeit gemeinsam den Weg zum VGH München zu gehen.


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft September 2023, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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