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Januar 2017
Noch mehr Wohnungen an der B304 in Kirchseeon

Kirchseeoner Wähler ohne Stimme in Berlin

Der Bundestag schafft Fakten
Am 2. Dezember beschloss der Bundestag das neue Fernstraßenausbaugesetz und besiegelte, was viele Kirchseeoner schon befürchteten: sie müssen wohl in den nächsten Jahrzehnten weiter damit leben, dass täglich rund 16.000 Fahrzeuge auf der B304 mitten durch den Ort fahren werden. Denn die Bundestagsmehrheit beschloss, das Projekt einer B304-Ortsumfahrung von der bisherigen Prioritäten-Einstufung WB* (Weiterer Bedarf mit Planungsrecht) auf die unterste Stufe WB (Weiterer Bedarf) herabzustufen. Während bei WB* noch eine Chance auf Finanzierung und damit auf Planung und Bau bestand, haben WB-Projekte praktisch keine Realisierungschance mehr.

Wie kam es zu dieser Herabstufung "in letzter Minute", nachdem das Projekt in den Entwürfen des Bundesverkehrswegeplans (BVWP 2030) und des Fernstraßenausbaugesetzes noch die höhere Priorität WB* hatte?

Nach vielen Jahrzehnten fruchtlos verlaufener Diskussionen und Initiativen hatte die im Januar 2012 vom Staatlichen Bauamt Rosenheim erarbeitete Machbarkeitsuntersuchung von mehreren Trassenvarianten im Norden und Süden des Orts wieder Bewegung in die Sache gebracht. Sie führte schließlich zu mehreren Beschlüssen des Gemeinderats, in denen alle Varianten außer einer weiträumigen Südumfahrung abgelehnt wurden. Im Rats- und Bürgerentscheid am 22. Juli 2012 votierte eine knappe Mehrheit der Bevölkerung für die Aufnahme der Südumfahrung in den in Aufstellung begriffenen BVWP 2030.

Mißachtung des Bürgervotums
Anders als der Münchner Stadtrat, der sich auch heute noch an das Votum des Bürgerbegehrens gegen die 3. Startbahn aus dem Jahr 2012 gebunden sieht, agitierten Teile des Kirchseeoner Gemeinderats bereits innerhalb der gesetzlichen Bindungsfrist gegen das basisdemokratische Votum der Kirchseeoner Wähler, das mit einer Wahlbeteiligung von 62% zustande kam.

Die Missachtung des Wählerwillens gipfelte schließlich darin, dass die Gemeinderatsmehrheit am 25. April 2016 alle ihre bisherigen Beschlüsse auf den Kopf stellte und plötzlich die Aufnahme einer nördlichen Umfahrung durch das FFH-Gebiet im Ebersberger Forst in den BVPW2030 forderte. Im Schreiben vom 29. April 2016 an das Bundesverkehrsministerium stellt Bürgermeister Ockel ohne irgendeinen Beleg die Behauptung auf, dass für eine Nordumfahrung "die Zustimmung in der Bevölkerung ungleich größer ist als für eine Streckenführung im Süden" und bittet "als neue Trassenvariante eine ortsferne Nordumfahrung für Kirchseeon und Eglharting unter Verzicht auf Tunnelbauwerke zu prüfen."

Staatsregierung schließt Trasse durch FFH-Gebiet aus
Die Oberste Baubehörde im Bayerischen Innenministerium antwortet ihm unmissverständlich, dass Eingriffe in FFH-Gebiete nur dann zulässig seien, wenn keine annehmbare Planungsalternative bestehe – die Südumfahrung sei aber eine annehmbare Alternative und daher sei ein Eingriff in das FFH-Gebiet nicht möglich.

Trotz dieses Meinungsumschwungs in Kirchseeon ist in der Endfassung des BVWP2030 von Anfang August und im ersten Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 5. September weiterhin die Südumfahrung mit der Einstufung WB* enthalten. Erst in der Beschlussempfehlung des Bundestags-Verkehrsausschusses zum Fernstraßenausbaugesetz vom 30. November findet sich die "OU Eglharting/Kirchseeon" plötzlich nur noch herabgestuft auf WB (ohne Planungsrecht).

In der Bundestagsdrucksache 18/10524 heißt es dazu, dass der Verkehrsausschuss in Sondersitzungen u.a. am 25. Oktober über das Projekt beraten habe. Als Begründung für die Abstufung wird angegeben: "Nur überregionale Netzfunktion in Verbindung mit noch frühem Planungsstadium". Eine genauere Erklärung fehlt, jedoch enthüllt die Drucksache, dass die Herabstufung aufgrund eines gemeinsamen Antrags der "Fraktionen CDU/CSU/SPD ADrs. 18(15)401" erfolgt ist. Die Sondersitzungen sind nichtöffentlich und die der Öffentlichkeit wird die Einsicht in die Protokolle verweigert.

Es ist kaum vorstellbar, dass dieser gemeinsame Antrag der Regierungsfraktionen ohne Abstimmung mit den örtlichen Stimmkreisabgeordneten von CSU und SPD erstellt wurde. Die Beteiligung der lokalen Abgeordneten bestätigte denn auch ein Mitarbeiter von MdB Rita Hagl-Kehl, der Koordinatorin für den BVWP Bayern in der SPD-Bundestagsfraktion. Mitarbeiter von MdB Dr. Andreas Lenz (CSU) und MdB Rita Hagl-Kehl wollten jedoch auf Anfrage keine Angaben darüber machen, welche konkrete Einflussnahmen es von Seiten der Stimmkreisabgeordneten gab.

Aussage gegen Aussage
Die von MdB Ewald Schurer (SPD) gegenüber der lokalen Presse geäußerte Behauptung, wonach angeblich der bayerische Innenministers Herrmann sich beim BMVI für die Herabstufung eingesetzt hätte, ist wohl nicht zutreffend – denn das Innenministerium bestätigte auf Anfrage, dass Bayern weiterhin Interesse an einer Ortsumfahrung hätte und daher in Berlin nicht initiativ geworden sei. MdB Ewald Schurer wollte zu den offenkundigen Widersprüchen bis Redaktionsschluss keine Stellung nehmen.

Es wäre jetzt an den beiden Stimmkreisabgeordneten, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wie es dazu kam, dass das Votum der Kirchseeoner im Bürgerentscheid ignoriert wurde und Kirchseeon auf absehbare Zeit keine Ortsumfahrung erhalten wird.


Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Januar 2017. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt.

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