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Juni 2023

Lokalzeitungen – einst und jetzt (Teil 3)

Die ersten beiden Teile dieser Reihe befassten sich mit dem Entstehen der privaten Printmedien im Landkreis am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Weitere Zeitungen entstanden nach dem Krieg und in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine Wende brachte der Markteintritt der Gemeindeblätter ab den 1980er Jahren und die Ausbreitung des Internets ab der Jahrtausendwende, was bei den beiden Tageszeitungen bis heute zu anhaltenden Auflagenrückgängen führte. In jüngster Zeit verschärften die inflationsbedingten Erhöhungen der Papierpreise und der Zustellkosten sowie rezessionsbedingte Rückgänge des Anzeigengeschäfts die wirtschaftlichen Probleme der Printmedien weiter. Der deutliche Rückgang des Seitenumfangs hiesiger Anzeigenblätter ist ein Warnzeichen für drohende Pleiten.

Um die Versorgung ländlicher, weniger dicht besiedelter Gebiete mit Printmedien trotz zunehmender Unwirtschaftlichkeit weiter aufrechterhalten zu können, rufen die Herausgeber seit einiger Zeit bundesweit nach staatlicher Unterstützung. Zwar ist ihr Hilferuf in Berlin angekommen und man ist sich dort der Bedeutung der "vierten Gewalt" bei der demokratischen Meinungsbildung durchaus bewusst, doch wird gezögert, weil man sich durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der "Staatsferne der Presse" beschränkt sieht.

Dieses Verfassungsgebot entstand als Lehre aus der Zensur durch "Gleichschaltung" der Presse in der NS-Zeit und besagt, dass der Staat und seine Organe jegliche direkte oder indirekte Einflussnahme auf die private Presse zu unterlassen haben. Denn nur so kann diese ihrem verfassungsgemäßen Auftrag zur Information der Bevölkerung und der Kontrolle des Handelns der Exekutive ungehindert nachkommen. Daraus leitet sich auch ab, dass durch etwaige staatliche Vertriebssubventionen nicht zu Lasten oder zum Vorteil einzelner Medien in den Markt eingegriffen werden darf.

Dieses Gebot der "Staatsferne der Presse" bildete in den letzten Jahren auch die rechtliche Grundlage mehrerer Gerichtsentscheidungen gegen Gemeindeblätter und kommunale Internetplattformen. Der Bundesgerichtshof gestand den von Zeitungsverlagen verklagten Kommunen zwar zu, in Gemeindeblättern und im Internet über die Arbeit der politischen Gremien im Rathaus und der Verwaltung zu informieren. Beiträge über das Vereinsleben, den Lokalsport, Gewerbebetriebe, andere staatliche Organisationen, die Kirchen, außerörtliche Ereignisse und ein Terminkalender seien aber keine gemeindliche Aufgabe; dies bleibe der freien Presse vorbehalten. Die Herausgabe von solchen, in Form und Inhalt presseähnlichen Periodika würde die private Presse im Wettbewerb um Leser und Anzeigenkunden schwächen, sei daher wettbewerbswidrig und zu unterlassen.

In einem kürzlich ergangenen Urteil des VG Berlin wurde sogar die Finanzierung defizitärer staatlicher Periodika durch Steuermittel als wettbewerbswidrig angesehen.

Eine Stichprobe zeigt jedoch, dass fast alle Gemeindeblätter in diesem und den Nachbarlandkreisen die Rechtsprechung ignorieren: sie sind presseähnlich aufgemacht und enthalten weit überwiegend Beiträge ohne jeden Bezug zum Rathaus. Besonders weit haben es die bereits wöchentlich erscheinenden "Nachrichten der Gemeinde Poing" getrieben, die vom Format, vom Papier, der Aufmachung und dem Inhalt den hiesigen Anzeigenblättern nachgeahmt sind: selbst private Klein-, Trauer- und Stellenanzeigen fehlen auf den 32 Seiten nicht.

Doch warum ignorieren die Bürgermeister und Gemeinderäte die vielen Gerichtsentscheidungen so konsequent? Und ist die Information der Bürger über den x-ten Schützenkönig oder das Sommerfest des Stöpselklubs tatsächlich so wichtig, dass dafür in jeder Gemeinde durchwegs jährlich 6-stellige Beträge an Steuergeldern ausgegeben werden müssen – oder wollen die Bürgermeister und Gemeinderäte nur ihre wahren Intentionen verbergen?

"Kirchseeon Aktuell" beantwortet die Frage so: nicht nur, dass der 2014 für die Wiederwahl kandidierende Bürgermeister in mehreren Ausgaben Lobeshymnen auf sich selbst abdrucken ließ, auch der jetzige Bürgermeister nutzt dieses Blatt ausgiebig, um dem Schwellenwerks-Investor ECE auf vielen Seiten exklusiv dessen Sicht der Dinge darstellen zu lassen - wohl um so den Ausgang des geplanten Bürgerentscheids in seinem Sinne zu steuern. Und das, obwohl der Gemeinderat bereits 2014 beschlossen hatte, dass im Gemeindeblatt keine politischen Meinungen abgedruckt werden dürften.

Eine Antwort gibt auch der "Ebersblick", das "Informationsmagazin aus dem Landratsamt Ebersberg", das der damals neugewählte Landrat Niedergesäß ab 2014 herausgab: zwischen Werbetexten über die Attraktionen des Landkreises "versteckten" sich viele bebilderte Texte über ihn und andere Kreis-CSUler. Alles vermittelte eher den Eindruck einer Parteibroschüre, denn von objektiver Information. Kein Wunder, dass massive öffentliche Kritik den Landrat nach wenigen Ausgaben zur Einstellung zwang.

Doch um die öffentliche Meinung im eigenen Interesse zu steuern, braucht es gar keine eigene Zeitschrift, die regelmäßigen "Presse Jour Fixe" von Landrat Niedergesäß und seiner Vertreterin im Amt, Frau Brigitte Keller, reichen dafür aus. Zu diesen werden nur die Vertreter dreier in Ebersberg ansässiger Printmedien eingeladen. Das Dutzend anderer Print- und Onlinemedien im Landkreis bleibt ausgesperrt und ihnen werden die in diesen "Pressegesprächen" mitgeteilten Informationen vorenthalten.

Will der Landrat so Printmedien, die bisher nicht durch energische Kritik an seinem Handeln aufgefallen sind, durch exklusive Informationen "belohnen"? Soll durch eine Vorzugsbehandlung eine "zurückhaltende" Berichterstattung gefördert werden? Und droht andernfalls der Ausschluss aus diesem exklusiven Kreis und der Verlust von Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz? Wir wissen es nicht, aber der Landrat weiß sicher: Selbstzensur ist immer noch die wirksamste Zensur.

Doch scheint damit das Ende der Meinungs- und Pressefreiheit noch nicht erreicht zu sein: mit der "Kirchseeon App" will der Kirchseeoner Bürgermeister wohl konsequent den nächsten Schritt zur vollständigen Kontrolle der (ver)öffentlich(t)en Meinung tun.

Und wer es, wie der Verfasser dieser Zeilen, dennoch wagt, eine andere Meinung zu haben als er und auch noch unliebsame Fragen zu stellen, der wird dann von diesem Bürgermeister schikaniert, gemobbt, beschimpft und - wie im Mai 2023 geschehen - sogar bis auf sein Privatgrundstück verfolgt und bedroht.

Das erinnert doch sehr an den Umgang mit Journalisten und Bürgern in Diktaturen wie Rußland, China, Saudi-Arabien oder der DDR, dem Heimatland dieses Bürgermeisters. Wie lange soll den Bürgern dieser Bürgermeister, der ein Problem mit seiner Affektkontrolle zu haben scheint, noch zugemutet werden?

Kein Wunder, dass der Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in dieser Gemeinde und diesem Landkreis ein sehr beklagenswerter ist.


Dieser Artikel ist eine erweiterte Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Juni 2023, erschienenen Printversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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