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Februar 2017
Panoramabild vom Dachsberg auf die Lungenheilstätte Kirchseeon, ca. 1904
Panoramabild der Lungenheilstätte kurz nach der Errichtung um 1901: Blick aus Westen vom Dachsberg, man erkennt einen Abschnitt der Straße nach Fürmoosen - Für Vollbild auf das Bild klicken

Kurze Geschichte des Sanatoriums Kirchseeon

Nach 2jähriger Bauzeit wurden am 1. Juni 1902 die ersten Patienten im allgemeinen Sanatorium Kirchseeon, das auf einem 19 ha großen Waldgrundstück an der heutigen Moosacher Straße errichtet worden war, aufgenommen (Bild: Blick vom Dachsberg nach Osten, um 1905). Schon 1904 wurde das Sanatorium in eine Lungenheilstätte für Männer umgewandelt - Frauen wurden in der Lungenheilstätte Schonstett behandelt. Schon von Anfang an gab es eine fortschrittliche Acetylen-Beleuchtung in allen Krankenzimmern, die meist mit 1-2 Betten belegt waren (insgesamt etwa 140 Betten, die Zahl blieb bis zur Auflösung etwa gleich); nach Anschaffung eines Generators erfolgte 1908 die Umstellung auf eine elektrische Beleuchtung. Nachdem die Nachbargemeinden einen Anschluss an deren Leitungsnetz verweigert hatten, gab es von Beginn an eine zentrale Wasserversorgung mit eigenem Brunnen und einem Hochbehälter auf dem Dach. Ab 1918 wurde eine fortschrittliche mechanisch-biologische Kläranlage zur Reinigung der infektiösen Abwässer betrieben.

Viele Kranke stammten aus ärmlichen Verhältnissen, hatten einen schlechten Ernährungszustand, lebten in ungesunden Wohnverhältnissen und steckten sich daher leicht mit Tuberkulose (Tbc) an. Da man in der Anfangszeit keine Medikamente für eine Bekämpfung des Tbc-Erregers hatte, behandelte man die Patienten nur symptomatisch nach dem „hygienisch-diätetischen Heilverfahren“: man versuchte sie durch eine reichhaltige Ernährung mit viel Fleisch und Milch „aufzupäppeln“ und die Widerstandskraft mit Inhalationen und Liegekuren zu stärken. Es wird von guten Heilerfolgen berichtet, die aber wohl weniger bei Tbc, als bei anderen Lungenerkrankungen erreicht worden sind – denn wegen einer unzureichenden Diagnostik konnte oft nicht unterschieden werden.

Erst mit der Anschaffung des ersten Röntgenapparates im Jahr 1921 war eine bessere Diagnostik möglich. Röntgenstrahlen wurden danach bis in die 1940er Jahre zusammen mit Gold- und Kupferpräparaten und Tuberkulin auch therapeutisch als „Röntgentiefenbehandlung“ u.a. bei Kehlkopf-Tbc eingesetzt – die negativen Langzeitfolgen von Röntgenstrahlen kannte man damals noch nicht. Die Therapiemöglichkeiten verbesserten weiter mit der Einführung von Chemotherapeutika und Antibiotika im Laufe der 1940er Jahre, wegen des oft späten Behandlungsbeginn bei Lungen-Tbc aber mit wechselndem Erfolg.

Tbc-Erreger, die Resistenzen gegen Antibiotika entwickelten, wurden aber schon Anfang der 1950er Jahre, also nur wenige Jahre nach deren Einführung, zum Problem, dem nur durch die kombinierte Gabe von zwei oder mehr Antibiotika begegnet werden konnte.

Der 1. Weltkrieg hatte den Sanatoriumsbetrieb weitgehend unberührt gelassen, es wurden lediglich zusätzlich lungenkranke Soldaten behandelt. Bereits zu Beginn des 2. Weltkriegs im September 1939 wurde das Sanatorium, das 1934 von der AOK in den Besitz der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA) gewechselt war, durch die Wehrmacht beschlagnahmt und nach Entlassung bzw. Verlegung aller Patienten bis zum Kriegsende als Reserve-Lazarett für Lungenkranke benutzt. Anschließend wurde das Sanatorium bis Oktober 1945 von den Amerikanern als Lazarett für lungenkranke Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter benutzt.

Ab Oktober 1945 stand das Sanatorium wieder der LVA zur Verfügung und obwohl es den 2. Weltkrieg unbeschädigt überstanden hatte, mussten umfangreiche Erneuerungen der Einrichtungen und Installationen durchgeführt werden, die kriegsbedingt unterblieben waren.

Aufgrund der räumlichen Unzulänglichkeiten und den immer aufwendiger werdenden Reparaturarbeiten in dem 60 Jahre alten Gebäude trug sich die LVA mit dem Gedanken eines Neubaus der Lungenheilstätte für Männer, was 1963 in einen Architekten-Ideenwettbewerb mündete.

Die Planungen wurden auch im Jahr 1964 fortgeführt, im August 1965 entschied sich die LVA aber dann gegen einen Neubau. Maßgebend dafür war ein stetiger Rückgang an Patienten, der einerseits Folge der 1953 eingeführten verpflichtenden Röntgen-Reihenuntersuchungen war, mit denen Tbc bereits in einem Frühstadium erkannt und mit guten Heilungsaussichten therapiert werden konnte, und der andererseits Ergebnis der zunehmend besseren Ernährungs- und hygienischen Bedingungen der Nachkriegszeit war. Zudem sollte das Zentralkrankenhaus Gauting zum Mittelpunkt der Tbc-Bekämpfung im Bereich der LVA ausgestaltet werden.

Im Juni 1966 beschloss dann die LVA, die Lungenheilstätte Kirchseeon zum Jahresende aufzulassen. Nach der Kündigung der seit 1919 in der Krankenpflege eingesetzten Schwestern vom Orden der Armen Franziskanerinnen aus Mallersdorf/Niederbayern zum 31.12.1966 verließen in den ersten Januartagen 1967 die letzten 9 Schwestern das Sanatorium.

1970 wurde das Gebäude abgerissen, auf dem Gelände errichtete die LVA (jetzt Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd) das Berufsförderungswerk Kirchseeon, das 1974 eröffnet wurde und seitdem eine wichtige Aufgabe in der beruflichen Rehabilitation erfüllt.

Hinweis: Wer sich genauer mit der Geschichte der "Lungenheilstätte Kirchseeon" befasssen möchte, kann jetzt in der vollständigen Sammlung der Auszüge der AOK/LVA-Verwaltungsberichte, die das Sanatorium betreffen, recherchieren.

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Februar 2017. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt.

Diese Webseiten werden fortlaufend erweitert und ergänzt.


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