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Oktober 2016

MdEP Dr. Angelika Niebler: Interessenskonflikt durch Nebentätigkeit ?

Bei den letzten Europawahlen 2014 wurde die Vaterstettener Juristin Dr. Angelika Niebler von Platz 2 der CSU-Landesliste erneut ins Europaparlament gewählt, dem sie ununterbrochen seit 1999 angehört. Frau Niebler gehört als CSU-Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei des Europäischen Parlaments (EVP) an und ist derzeit u.a. Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie.

Sie hatte und hat zahlreiche Parteiämter inne, von der Kreisebene (u.a. war sie von 2011 bis 2015 Vorsitzende der Kreis-CSU) bis zur Bezirks- und Landesebene; seit 2015 ist sie Stellvertretende Parteivorsitzende der CSU.

Daneben ist sie ehrenamtliches Mitglied in diversen Präsidien, Vorständen und Räten. Sie ist als Aufsichtsrätin von zwei Aktiengesellschaften und als Lehrbeauftragte bei der Hochschule München (vormals Fachhochschule) tätig und arbeitet daneben auch noch freiberuflich für die Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher LLP, wo sie laut ihrer Selbstauskunft monatlich 1.000 – 5.000 EUR brutto verdient - neben ihren Einkünften als Europaabgeordnete in Höhe von 5.000 – 10.000 EUR monatlich. Schon davor war sie neben ihrem Mandat im Europaparlament für große Anwaltskanzleien tätig (ab 1997 bei Beiten Burkhardt, von 2004 bis 2015 bei Bird & Bird).

Diese Informationen kann man der "Erklärung der finanziellen Interessen der Mitglieder" entnehmen, in der Frau Niebler wie jede andere Europaabgeordnete gemäß der Geschäftsordnung des Europaparlaments die ausgeübten Nebentätigkeiten zusammen mit den erzielten Einkommen angeben musste. Ihre vielen Nebentätigkeiten überfordern Frau Niebler aber offenbar schon rein zeitlich, ihren Mandaten im Europaparlament mit wechselnden Einsatzorten in Brüssel und Straßburg und im Kreistag in Ebersberg, dem sie seit 1996 angehört, neben dem Privatleben mit ihrem Ehemann, dem Vaterstettener CSU-Gemeinderat Dr. Michael Niebler, und den beiden Kindern angemessen nachkommen zu können. Denn ausweislich der Niederschriften des Kreistags Ebersberg fehlte sie seit 2013 in jeder zweiten Sitzung völlig und in den anderen verabschiedete sie sich oft schon kurz nach Beginn wieder, vermutlich wegen anderer Verpflichtungen.

Die Vorwürfe, die die deutsche Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol gegen Frau Niebler erhebt, gehen aber weit darüber hinaus. Lobbycontrol ist nach eigenen Worten "ein gemeinnütziger Verein, der über Lobbyismus und Machtstrukturen in Deutschland und der EU aufklärt" ... und sich für "Transparenz, demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit" einsetzt.

Lobbycontrol stellt zunächst fest, dass Frau Niebler seit Beginn ihrer Tätigkeit im Europaparlament für drei große Anwaltskanzleien gearbeitet hat und alle drei Kanzleien bei den EU-Institutionen Lobbyarbeit betreiben, aber nicht im EU-Lobbyregister registriert sind – nur eine war zeitweise registriert. In diesem "Transparenzregister" der EU sind derzeit knapp 10.000 Lobbyisten registriert, davon rund 1000 "Beratungsfirmen/Anwaltskanzleien/selbständige Berater" und rund 5000 "In-House-Lobbyisten, Gewerbe-, Wirtschafts- und Berufsverbände". Allein durch die – derzeit noch noch nicht verpflichtende - Nichteintragung schade Frau Niebler nach Auffassung von Lobbycontrol dem Image des Parlaments.

In ihrer Pressemitteilung erklärt Nina Katzemich von Lobbycontrol: "Es ist unklar, inwiefern Frau Niebler in ihrer parlamentarischen Arbeit die Interessen ihrer Kunden einbringt. Inhaltliche Überschneidungen zwischen Mandat und Nebentätigkeit lassen sich jedenfalls beobachten. Der Parlamentspräsident muss diese Frage dringend klären, um jeden Verdacht auf einen Interessenkonflikt auszuräumen. Wir fordern, dass EU-Abgeordnete grundsätzlich keinen Nebentätigkeiten bei Unternehmen nachgehen sollten, die Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen betreiben."

Aus diesem Grund hat Lobbycontrol zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Observatory und Friends of the Earth Europe einen Brief an den Parlamentspräsidenten Martin Schulz geschrieben, in dem sie ihn über die langjährigen Nebentätigkeiten von Frau Niebler in internationalen Anwaltskanzleien informiert und ihn darauf hinweist, dass Frau Niebler "2015 zum parlamentarischen Initiativbericht zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft 25 Änderungsanträge in die parlamentarische Debatte eingebracht hat, während sie Gibson, Dunn and Crutcher zu Datenschutz, Sicherheit im Netz und Verbraucherschutz beriet."

Nach Auffassung von Lobbycontrol dürfte Frau Niebler ihrer Nebentätigkeit bei dieser Anwaltskanzlei nicht mehr nachgehen, wenn die Vorschläge in dem "Initiativbericht über Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Organen", der im November 2015 dem EU-Parlament vorgelegt wurde, umgesetzt würden. Denn dann wären Nebentätigkeiten bei (registrierten) EU-Lobbyunternehmen und -organisationen nicht mehr zulässig. Lobbycontrol berichtet, dass die Vorschläge in dem "Initiativbericht Transparenz" von der Fraktion der EVP, der auch Frau Niebler angehört, und den Liberalen vehement bekämpft werden, sei es das Verbot der Nebentätigkeit bei Lobbyisten, eine Karenzzeit für Parlamentarier oder der sog. "legislative Fußabdruck" - eine Verpflichtung zur Dokumentation der Eingaben von Lobbyisten zu laufenden Verordnungsvorlagen. Lobbycontrol wirft Frau Niebler vor, für die Streichung der Karenzzeit ebenso eingetreten zu sein wie für die des "legislativen Fußabdrucks".

Am 12. September 2016 sollte über den "Initiativbericht Transparenz" im Ausschuss für konstitutionelle Fragen abgestimmt werden; eine große Koalition aus Konservativen (EVP), Liberalen (ALDE) und Sozialdemokraten (S&D) vertagte jedoch die Abstimmung, ohne ein neues Datum festzulegen.

In dem Schreiben der NGO's wird Parlamentspräsident Martin Schulz aufgefordert zu überprüfen, "ob Frau Nieblers Nebentätigkeit im Einklang mit dem Verhaltenskodex für die EU-Abgeordneten steht: Frau Niebler sollte darüber aufklären, was sie in dieser Tätigkeit macht, wer ihre Kunden sind und ob es Überschneidungen zwischen deren Interessen und ihrer parlamentarischen Arbeit gibt." Daneben sollte Martin Schulz klären, "ob die Arbeit für eine Organisation, die Lobbyarbeit betreibt, sich aber nicht ins EU-Lobbyregister einträgt, Artikel 1 des Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete ("Wahrung des guten Rufs des Parlaments") widerspricht."

Eine Antwort des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz steht bislang aus. Der Vorsitzende der Ebersberger Kreis-CSU, Thomas Huber, wollte zu den Vorwürfen von Lobbycontrol gegen Frau Niebler keine Stellungnahme abgeben.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Der Oberbayer, Heft Oktober 2016. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt.

Nachtrag September 2023:
Die SZ berichtete am 19.09.2023 unter der Überschrift "Wenn die Pflicht die Kür gefährdet" über die (Nicht)Anwesenheiten der MdEP, MdB und MdLs aus dem Landkreis in den jeweiligen Gemeinde- und Kreistagssitzungen. Laut SZ soll Frau Niebler in der laufenden Kreistagsperiode nur in 10 von 19 Sitzungen anwesend gewesen sein. Wie lange sie jeweils anwesend war, teilt die SZ nicht mit.


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