Kirchseeon-intern.de - Ortsgeschichte - Halbmonatliche Gendarmerieberichte


Ortsgeschichte - Kirchseeon 1933-1945 - Halbmonatliche Polizeitberichte

Bericht der Gendarmeriestation Kirchseeon vom 27. Dezember 1932
"Unter Bezugnahme zum bezirksamtlichen Auftrag berichte ich, dass sich in der Zwischenzeit Änderungen in den Vorstandschaften der hiesigen Vereine nicht ergeben haben.
Die Christmette ist dahier sehr ruhig verlaufen. Um eine[r] event. Störung vorzubeugen, hatten sich die hiesigen Beamten an den Zugängen vor der Kirche aufgestellt. Während des Gottesdienstes haben sich wohl einige hiesige Kommunisten eingefunden, die sich aber gleich wieder entfernt haben.
Wegen des ungünstigen Wetters hatten sich die radikalen Elemente in ihrer Unterkunftshütte am Turnplatz dahier aufgehalten.
Am 25.12. hatten sich die Gebrüder W., sowie weitere hiesige Früchterl im Gasthaus Döllel eingefunden und dort mit einem gewissen Martin O. aus München, der den Handel mit Walderzeugnisses treibt, reichlich gezecht. Bei Döllel hielten sich auch der Hilfsarbeiter Johann E. und der led. Invalide und Metzger Franz R., beide von Kirchseeon, auf. In betrunkenem Zustande hat O. auf Veranlassung der Gebr. W. mit E. und R. Streit begonnen. Wegen Einschreitens der hiesigen Beamten ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen. O. führte ein im Griffe feststehendes Messer bei sich, das ihm weggenommen wurde. Gegen O. wird Strafanzeige gestellt.
Am 26.12. hat im Wallner Saale eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten der Winterhilfe stattgefunden, bei der der Deutsche Turnverein, der Gesangsverein Einigkeit und der Trachtenverein mitgewirkt haben. Der geräumige Saal war voll besetzt. An Eintrittsgebühren etc,. wurden ca. 300 RM vereinnahmt. Wie der Vors. der Ortsfürsorge, Hw. H. Expositus Dötsch in seiner Begrüssungsansprache erwähnt, hat der Bürgerm. Breiter auch im heutigen Jahre 300 RM für die Winterhilfe zur Verfügung gestellt.
Die politische Lage selbst ist ruhig. Die hiesigen Kommunisten zeigen sich sehr zurückhaltend. Ihr einziger Wunsch wäre eine abermalige Reichstagswahl, bei der sie den Sieg zu erringen hoffen. Wie sich hiesige Früchterl geäussert haben, würden sie schnell aufräumen und die schwarzen Brüder aus den Kirchen heraus holen. Den Anlass zu dieser Äusserung hat allem Anschein nach der anfangs Dezember im Gasthause Wallner dahier stattgefundene Lichtbildervortrag durch Herrn Dr. D. des kath. Volksvereins in München, über die Zustände und die religiöse Schändung in der Sowjetunion, gegeben. Anläßlich dieses Vortrages hatten sich vor dem Fenster des erwähnten Gasthauses eine größere Anzahl der hies. Kommunisten eingefunden, von wo aus sie den Vortrag mit angehört haben.
Um die bei der letzten Reichstagswahl verlorenen Stimmen wieder zurück zugewinnen, schreitet die NSDAP nun zur Gründung von Ortsgruppen für die Frauen. Eine solche Ortsgruppe wurde, wie bereits berichtet, am 16.12. dahier unter der Führung der Frau Dr. Ebner gegründet. Wie verlautet, sollen der Ortsgruppe bereits über 40 Frauen und Mädchen von Kirchseeon und Umgebung beigetreten sein.
Von den hiesigen Wohlfahrtsunterstützungsempfängern, wurden Mitte Dezember 22 Personen im hiesigen Schwellenwerk eingestellt. Eine starke Erbitterung ist beim 1. Zahltage in Erscheinung getreten, als die eingestellten Arbeiter die Wahrnehmung machen mussten, dass sie nur einen Stundenlohn von 40 Rpf. erhalten und sohin trotz ihrer Beschäftigung schlechter abschneiden, als mit dem Bezug von Wohlfahrtsunterstützung. Die betreffenden Arbeiter sind bei der Gemeinde vorstellig geworden und haben mit Arbeitsniederlegung gedroht, wenn sie nicht mehr Lohn erhalten würden. Auf die von Bürgerm. Breiter unternommenen Schritte, wurden die Löhne für die neueingestellten Arbeiter denen der Stammarbeiter angepasst und auf 50 bis 52 Rpf. pro Stunde erhöht.
Die Erwerbslosen der Gde. Eglharting wurden am 23.12. mit Lebensmitteln, wie Hirschfleisch, Brot, Kartoffel und auch mit Geldmitteln, die aus den veranstaltenden Haussammlungen eingegangen sind, beschenkt. Auch Brennmaterialien kamen zur Verteilung.
Auch die Gde. Moosach hat ihren Erwerbslosen eine Weihnachtsspende in Fleisch, Brot und Mehl zukommen lassen. Für die Erwerbslosen des hiesigen Dienstbezirks bestand sohin keinerlei Veranlassung sich zu den von der Parteileitung der KPD. provozierten Hungerdemonstrationen zusammen zu schliessen, bzw. solche einzuleiten. Anhaltspunkte für die Einleitung derartiger Demonstrationen haben sich in keiner Weise ergeben.
Die Stimmung der Bevölkerung des Dienstbezirkes hat keine Besserung erfahren. Die Klagen über fortschreitende Verschuldung der Arbeiterschaft, den schlechten Geschäftsgang, die hohen Steuern und sozialen Lasten, wollen nicht verstummen bzw. werden immer lauter.
Im Januar bzw. Februar 33 kommen das Schuh- und Spezereiwarengeschäft des Andreas B. sen. in Kirchseeon u. das Anwesen des Landwirts Daniel W. in Reit, Gde. Moosach zur Zwangsversteigerung. B. sen. ist für seinen Sohn Franz, der in Tüssling [handschriftlich gestrichen und durch Altötting ersetzt], B.A. Altötting, ein Obst- und Südfrüchtegeschäft betrieben, als Bürge eingestanden. B. jun. hat Konkurs gemacht, weshalb sein Vater für die Forderungen der Gläubiger aufkommen muss, was zum Ruin seines Geschäftes geführt hat.
W. hat sein fragliches Anwesen im Jahre 1929 von der Darlehenskasse Grafing um den Preis von 35,000 RM erworben, Durch den im gleichen Jahr eingetretenden Brandschaden und den luxuriösen Einrichtungen beim Wiederaufbau der abgebrannten Scheune und Stallung, hat sich W. noch tiefer in Schulden gestürzt. W. möchte nun das seinen Schwiegereltern gehörige Wohnhaus in Feldkirchen b. München veräussern, um mit dem Erlös von ca. 15,000 RM einen Teil Schulden abzuzahlen und sein Anwesen in Reit erhalten zu können.
Der vom Schwurgericht München II wegen Totschlagsversuch zu 2 Jahren Gefängnis verurteilte led. Techniker Matthias V. von Eglharting, hat nun den damals vom ihm durch Pistolenschüsse verletzten verh. Techniker Thomas E. von Kirchseeon mitgeteilt, dass ihm seinerzeit – 1927 – seine Mutter, die Landwirtsehefrau Maria V. zu dieser Tat angestiftet und gesagt hätte „Schiess’n nieder, den Sauhund“, worauf er den E. verfolgt und auf ihn geschossen habe.
E. hat auf diese Mitteilung hin gegen die Maria V. Anzeige erstattet, weil er glaubte, wenn eine Verurteilung erfolgen sollte, er seine Ansprüche, die ihm bisher gegen den vermögungslosen Vinzenz zugestanden sind, der V. gegenüber geltend machen könnte. Die Anzeige des E. wurde ohne Einvernahme an die Staatsanwaltschaft München II weiter geleitet. Das Verfahren gegen die V. wurde eingestellt, da den Angaben des V. jun. nicht viel Glauben beizumessen ist, zumal er sich wegen der bevorstehenden Scheidung an seiner Mutter rächen will, damit auch letztere leer ausgehen soll. V. hat sich auch schon der Brandstiftung seines elterlichen Anwesens bezichtigt, wegen der sein Vater durch Urteil des Schwurgerichts zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt war.
Der Sicherheitszustand im Dienstbezirk ist gut."
[Unterschrift S., K.]


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