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Ortsgeschichte - Schwellenwerk Kirchseeon
Stand 6.4.2023
Schwellenwerk Kirchseeon - 1870-1880 - nach Gottgetreu
Der Bau der "Schwellenfabrik Kirchseeon" wurde rund 6 Monate nach dem Gesetz zum Bau der Eisenbahnlinie durch eine Entschließung des kgl. Staatsministeriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten vom 1. Oktober 1868 angeordnet. Ab Januar 1869 wurde die Anlage gebaut. Anfang Mai war sie noch im Bau, im Münchner Anzeiger, einer Beilage zu den Neuesten Nachrichten, wurden noch Zimmerergesellen gesucht.

Da Schwellen aus dem Schwellenwerk für den Bau der Bahnlinie (zumindest anfangs) noch nicht zur Verfügung standen, musste mit Vertrag vom 13. März 1869 das "Etablissement Otto Steinbeis und Consorten" aus Brannenburg mit der Lieferung der zum Streckenbau benötigten Föhrenholzschwellen, die mit "Doppelt Chlor Quecksilber" imprägniert waren, beauftragt werden. Dieses Imprägnierverfahren war in Bayern durch die Fa. Otto Steinbeis 1868 eingeführt worden.

Auch die Schwellen aus der "Kgl. Schwellenfabrik Kirchseeon", die für den Bau der Bahnlinie verwendet wurden, waren großteils aus Föhrenholz und nur zum kleinen Teil aus Fichte und mit Quecksilberchlorid ("Kyanisierung") imprägniert. Die Imprägnierung mit Kreosot wurde erst 1872 aufgenommen.

Im "Marggraff", dem Standardwerk über die Geschichte der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen aus dem Jahr 1894 liest man über das Schwellenwerk Kirchseeon: "Zum Zwecke der Fabrikation und Tränkung der für Neubau und Unterhaltung der Staatsbahnen nötigen Bahnschwellen in Staatsregie wurde eine den kgl. Bausektionen gleichgeordnete Schwellenfabrik bei Kirchseeon, mitten in ausgedehnten Staatsforsten an der Linie München - Grafing - Rosenheim gelegen, gegründet, mit einer Dampf-Sägmühle und Imprägnieranstalt ausgerüstet und i. J. 1869 in Betrieb genommen, seit welcher Zeit die Tränkung von Nadelholzschwellen und später auch von Buchenschwellen mit Ätzsublimat, Chlorzink oder Kreosot in grossem Massstabe vor sich ging."

Eine ausführliche Beschreibung der Hauptanlagen des Schwellenwerks ("Imprägnir-Anstalt") um das Jahr 1880 nebst eine Planzeichnung der Anordnung der Anlagen auf dem Gelände südlich des Bahnhofs Kirchseeon findet man bei Gottgetreu [2]: eine Dampfsäge mit 20 PS und Trockenofen, die Kyanisieranlage mit Einlaugbecken und Gifthütte, Kreosotieranlage mit Imprägnier-Druckkessel und eine 8-PS-Dampfmaschine für die Vakuumpumpe. Detaillierte Baupläne der Gebäude für die Dampfsäge, der Gift- und Einlaughütte und der Kreosotieranlage nebst Trockenofen sind in der Anlage [3] abgedruckt.

Aus der Planzeichnung der Kyansieranlage [3] ist ersichtlich, dass die Tauchbecken mit der Quecksilberchlorid-Lösung um 1880 oberirdisch angeordnet sind. Es war daher erforderlich, die herangefahrenen, zu imprägnierenden Schwellen mühsam anzuheben, um sie über den Beckenrand zu heben und ins Becken herabzulassen. Nach einem 1909 erschienenen Fachartikel [4] ist in der Zwischenzeit ein Um/Neubau der Tauchbecken erfolgt, denn nun ist von abgesenkten Tauchbecken die Rede:
"Die bayrischen Staatsbahnen haben in Kirchseeon eine solche Tränkanlage mit 12 Becken aus Eisenbeton, welche auf 1,5 m ins Erdreich versenkt angeordnet sind, um das Ein- und Ausladen der Hölzer zu erleichtern. Man fährt die Schwellen auf einem Gleis vor das gerade geleerte Becken, schichtet sie in diesem, indem man je zwei Lagen durch Lattenzwischenlagen von einander trennt .....". Ob der Um/Neubau der Kyanisierbecken an gleicher Stelle oder in der Nähe erfolgte, ist bislang ungeklärt.


Vorstände des Schwellenwerks waren:
Friedrich Herrmann, Dezember 1868 - April 1882 [1]


Weitere Informationen:
Broschüre Eisenbahn-Schwellenwerk Kirchseeon 1950

Quellen:
[1] Lutz, Kosmas: Der Bau der bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines: bearbeitet mit Benutzung amtlicher Quellen, München 1883
[2] Gottgetreu, Rudolph (1821-1890), Physische und chemische Beschaffenheit der Baumaterialien, deren Wahl, Verhalten und zweckmässige Verwendung Ein Handbuch f. d. Unterricht u. d. Selbststudium, 3. Auflage, Berlin 1880, Digitalisat
[3] Gottgetreu, Rudolph (1821-1890), wie oben, digitalisierte Baupläne der Dampfsäge, der Gift- und Einlaughütte und der Kreosotieranlage mit Trockenofen
[4] N.N., Imprägnierung von Eisenbahnschwellen, in: Eisenbahn und Industrie, Zeitschrift für Betriebstechnik und Verwaltung. Zentralblatt f. d. Interessen d. gesamten Verkehrswesen u. der Industrie-Unternehmungen, ihren Verwaltungen u. Betriebsorganen, 6. Nov. 1909, Heft 20/21, S. 229f., Digitalisat


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