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Ortsgeschichte - 1868 Bau der Eisenbahnlinie München(Haidhausen)-Kirchseeon-Grafing-Rosenheim
Stand 6.4.2023
150 Jahre Kirchseeon Bahnhof
"Ludwig II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. - Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes mit Beirath und Zustimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten
beschlossen und verordnen, was folgt:
Artikel 1 - Zur Vervollständigung bereits bestehender Einrichtungen der Staatseisenbahnen werden folgende Maximal-Credite eröffnet: ...
6) für die Herstellung einer Ergänzungsbahn von Rosenheim über Kirchseeon nach München der Betrag von 4.000.000 fl. ...
Gegeben Schloß Berg, den 16. Mai 1868."
Was sich im "Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern", Ausgabe Nr. 30 vom 26. Mai 1868, im "Gesetz,
die Vervollständigung der bayerischen Staatseisenbahnen betr." so nüchtern liest, ist nichts
weniger als die Gründung von Kirchseeon Bahnhof, dem Kern der heutigen Marktgemeinde
Kirchseeon, vor 150 Jahren durch König Ludwig II.
Mit diesem Gesetz wurden staatliche Geldmittel in Höhe von 4 Mio. Gulden (in heutiger Kaufkraft
etwa 60 Mio. Euro) zur Finanzierung des Baus einer zweiten (eingleisigen) Bahnlinie von München nach
Rosenheim bereitgestellt. Der Bau dieser zweiten Bahnstrecke von München nach Rosenheim war notwendig
geworden, weil sich herausgestellt hatte, dass die Trassenführung der 1857 - also nur 10 Jahre zuvor -
eröffneten "Maximiliansbahn" durch den sogenannten Teufelsgraben bei Kreuzstraße eine
Fehlplanung war. Denn die Betriebskosten waren wegen der zu überwindenden großen
Höhenunterschiede und der vielen engen Kurven enorm und die bereits damals überlastete
Strecke konnte wegen der engen Verhältnisse auch nicht zweigleisig ausgebaut werden.
Diese Fehlplanung wollte man nun durch eine neue Trassenführung beheben. Zahlreiche
Gemeinden wandten sich daraufhin mit Eingaben an verschiedene staatliche Stellen, um zu
erreichen, dass die neue Bahnlinie an ihrem Ort vorbeiführt. Vergeblich versuchten z.B.
die Aiblinger mit den Nachbargemeinden die Hohe Kammer der Abgeordneten (dem Vorläufer des heutigen
Bayerischen Landtags) im März 1868 mit einem technischen Gutachten davon zu überzeugen, dass ihr
Trassenvorschlag über den Markt Aibling, Heufeld und das Glonntal der vorzugswürdigere wäre - die
ungünstigeren topographischen Verhältnisse sprachen jedoch gegen sie und für eine nördlichere
Trassenführung mit dem Fixpunkt Kirchseeon am Durchbruch der Endmoränenkette.
Die verbindliche Festlegung der Stationen dieser nördlicheren Trasse über Kirchseeon erfolgte erst im
Oktober 1868. Erfolgreiche "Lobbyarbeit" für eine Bahnstation hatte zuvor die Gemeinde
Großkarolinenfeld geleistet, eine Siedlung, in der sich ab 1802 aufgrund eines königlichen
Aufrufs Protestanten ansiedelten und die sich in ihrem Bittbrief auf den besonderen Schutz
und die Unterstützung durch die (damals schon verstorbene) evangelische Königin Karoline
(von Baden), der Gattin von König Max-Josef I., beriefen.
Im November 1868 wurde der Auftrag für die Planerstellung erteilt, im April 1869 waren die
Pläne fertig. Lange war in der Abgeordnetenkammer darum gerungen worden, ab Kirchseeon einen
Abzweig über (Markt) Schwaben, Erding nach Landshut zu bauen. Im März 1869 lehnte es die
Abgeordnetenkammer schließlich endgültig ab, den Bau einer solchen Linie zu finanzieren.
Die durchgesehenen Akten zum Bahnbau im Bayerischen Hauptstaatsarchiv brachten bisher keine
Klarheit, ob die Station Kirchseeon Bahnhof mitten in den Wäldern östlich von Eglharting nur
wegen des Abzweigs nach Landshut geplant wurde oder ob sie von Anfang an zur Anbindung einer
Schwellenfabrik vorgesehen war. Der Fichtenreichtum der Gegend kann eigentlich nicht maßgeblich
gewesen sein, denn Fichtenschwellen wurden kaum produziert, da sie eine weitaus geringere
Liegedauer als Schwellen aus anderen Hölzern hatten.
Der Bau der "Schwellenfabrik Kirchseeon" wurde rund 6 Monate nach dem Gesetz zum Bau der
Eisenbahnlinie durch eine Entschließung des kgl. Staatsministeriums des Handels und der öffentlichen
Arbeiten vom 1. Oktober 1868 angeordnet. Ab Januar 1869 wurde die Anlage gebaut. Anfang Mai war sie noch
im Bau, im Münchner Anzeiger,
einer Beilage zu den Neuesten Nachrichten, wurden noch Zimmerergesellen gesucht.
Da Schwellen aus dem Schwellenwerk für den Bau der Bahnlinie (zumindest anfangs) noch nicht zur
Verfügung standen, musste mit Vertrag vom 13. März 1869 das "Etablissement
Otto Steinbeis und Consorten" aus Brannenburg mit der Lieferung der zum Streckenbau benötigten
Föhrenholzschwellen, die mit "Doppelt Chlor Quecksilber" imprägniert waren,
beauftragt werden. Dieses Imprägnierverfahren war in Bayern durch die Fa.
Otto Steinbeis 1868 eingeführt worden.
Auch die Schwellen aus der "Kgl. Schwellenfabrik Kirchseeon", die für den
Bau der Bahnlinie verwendet wurden, waren großteils aus Föhrenholz und nur zum kleinen
Teil aus Fichte und mit Quecksilberchlorid ("Kyanisierung") imprägniert. Die Imprägnierung mit
Kreosot wurde erst 1872 aufgenommen.
Im "Marggraff", dem Standardwerk über die Geschichte der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen aus
dem Jahr 1894 liest man über das Schwellenwerk Kirchseeon: "Zum Zwecke der Fabrikation
und Tränkung der für Neubau und Unterhaltung der Staatsbahnen nötigen Bahnschwellen in
Staatsregie wurde eine den kgl. Bausektionen gleichgeordnete Schwellenfabrik bei Kirchseeon,
mitten in ausgedehnten Staatsforsten an der Linie München - Grafing - Rosenheim gelegen, gegründet, mit
einer Dampf-Sägmühle und Imprägnieranstalt ausgerüstet und i. J. 1869 in Betrieb
genommen, seit welcher Zeit die Tränkung von Nadelholzschwellen und später auch von Buchenschwellen
mit Ätzsublimat, Chlorzink oder Kreosot in grossem Massstabe vor sich ging."
Für die Gleise wurden 6 Meter lange Schienen, die von der Maxhütte in der Oberpfalz
geliefert wurden, verwendet. Auf den Gleisen der am 15. März 1871 in Betrieb genommenen
Strecke fuhren die Züge noch mit gemütlichen 20-25 km pro Stunde. Das Bahnhofsgebäude in
Kirchseeon, das inzwischen ziemlich heruntergekommen ist (siehe Bild), ist das einzige, was
von den anfänglichen Bahnbauten heute noch erhalten ist.
Ingenieure und Planer des Baus der Eisenbahnlinie München-Kirchseeon-Grafing-Rosenheim [1]:
Bürklein Friedrich, Rat der Generaldirektion der kgl. Verkehrsanstalten (Bauabteilung) vom
November 1868 bis Oktober 1872, Architekt u.a. der Linie München-Grafing-Rosenheim
von Dyck Karl, kgl. Eisenbahnbaudirektor der Generaldirektion der kgl. Verkehrsanstalten in
München vom September 1865 bis September 1873, während des Baus u.a. der Linie München-Grafing-Rosenheim
Graff Jakob, kgl. Rat der Generaldirektion der kgl. bayr. Verkehrsanstalten BBauabteilung) in München, Architekt für den
Bau der Linie München-Grafing-Rosenheim und des Bahnhofs Rosenheim
Knorr Emil, Ingenieurassistent und Bauführer der Sektion Grafing vom Mai 1868 bis Februar 1872
Lehner Johann, Sektionsingenieur der Linie München-Grafing-Rosenheim vom Mai 1869 bis Mai 1869
Rasp Johannes, Sektionsingenieur in Rosenheim für die Linie München-Grafing-Rosenheim sowie den Neubau des
Bahnhofs Rosenheim vom Mai 1869 bis Juni 1880, zum kgl. Betriebsinspekteur befördert im November 1869
Röckl Alois, kgl. Oberingenieur (1868) und kgl. Generaldirektionsrat (1869), Vorstand des Projektierungsbüros
und technischer Referent für den Bau mehrerer Bahnstrecken, u.a. München-Rosenheim
Schmid Otto, Sektionsingenieur der Linie München-Grafing-Rosenheim,
in Haidhausen ab Mai 1868 bis Januar 1876, im Dezember 1868 zum kgl. Abteilungsingenieur ernannt
Weikmann Nikolaus, Sektionsingenieur der Linie München-Grafing-Rosenheim, in Grafing von Mai 1868 bis Februar 1872,
zum Abteilungsingenieur ernannt im Dezember 1868
Gebaut wurde die Bahnlinie (teilweise oder ganz?) von privaten Baufirmen. Die einzelnen Lose wurden an folgende Firmen vergeben: [1]
Los I und II, Sektion Haidhausen, Haidhausen-Rosenheim, Fa. Franz Karg aus München, 1868/69, 55.000 Mark
Los V+VI, Sektion Grafing, Uhl Anton aus Kempten, mit Uhl Georg und Martin, 1869/70, 410.000 Mark
Los VII, Sektion Grafing, Maurer Georg aus Oberdorf bei Neresheim, mit Maurer Kaspar jun. , 1869/70, 515.000 Mark
Los IX, Sektion Rosenheim, Soyer Konrad aus Vorderburg, mit Stadler Paulus, 1869/70, 461.000 Mark
Los X und XI, Sektion Rosenheim, Bernhard Prinz aus Neustadt a. A., mit Konrad Soyer und Friedrich Wieland, 1869/70, 273.000 + 189.000 Mark
Weitere Informationen:
Broschüre Eisenbahn-Schwellenwerk Kirchseeon 1950
Quellen:
[1] Lutz, Kosmas: Der Bau der bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines: bearbeitet mit Benutzung amtlicher Quellen, München 1883
Dieser Text ist eine erweitere Fassung des im Januar 2018 in der Zeitschrift "Der Oberbayer" erschienenen Beitrags "150 Jahre Kirchseeon Bahnhof".
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