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Ortsgeschichte - Berichte vom Kriegsende
Ende des 2. Weltkriegs, Einmarsch der Amerikaner - Augenzeugenberichte
Bericht von Pfr. Antholzner aus Kirchseeon vom 30. Juli 1945
Berichterstatter: Pfarrkurat Alois Antholzner (1942-1946 Pfarrkurat in Kirchseeon-Bahnhof, 1946-1977 Pfarrer in Kirchseeon-Bahnhof, seit 1977 Kommorant in Garching/Alz, gestorben am 9. November 1978)
Datum: 30. Juli 1945
Der Bereich der Pfarrkuratie Kirchseeon-Bahnhof ist verhältnismäßig recht
gut durch diesen Krieg gekommen. Bis zum letzten Monat dieses Krieges sind
im Wohnbezirk der Kuratie keine nennenswerte Schäden durch Fliegerangriffe
entstanden, es waren nur an Grenzen und im Wald mehrere Bomben gefallen.
Erst am Weißen Sonntag, am 8. April 1945, fielen zwei Bomben (ca.
5 Zentner) in die westliche Säge des Reichsbahnschwellenwerkes. Dort hatte
eine Anzahl von Personen aus einem Flüchtlingszug aus dem Raum von Wien,
der gerade auf dem hiesigen Bahngelände stand, vor Tieffliegern Schutz gesucht;
zum Glück war die Halle versperrt gewesen, so daß nur wenige Personen
an den Zugängen Platz finden konnten; eine ältere Frau wurde tödlich
getroffen; sieben Personen waren schwer verletzt, von ihnen starben einige in
den Krankenhäusern zu Ebersberg bzw. Haar. Die genannte Frau wurde hier
beerdigt. Durch den Luftdruck entstanden Fensterschäden vor allem beim
Flüchtlingszug, auch einige Fenster der Kirche wurden etwas beschädigt.
Das erste Opfer des Luftkrieges aus der Pfarrkuratiegemeinde wurde ein Arbeiter
auf der Heimfahrt von seiner Arbeitsstätte in München; er wurde bei
Trudering durch Bordwaffenbeschuß auf dem Fahrrad getötet; ein anderer Arbeiter
von hier fand ihn dann tot im Straßengraben. Am anderen Tag brachten
ihn dann seine drei Söhne, die zufällig auf Urlaub waren, auf ihren Fahrrädern
von Trudering, wo sie ihn nach langem Suchen im Friedhof zwischen den
Gräbern liegend gefunden hatten, hierher zur Beerdigung im Familiengrab.
Am Samstag, den 21. April mittags, erfolgte der Abwurf von etwa 16 Bomben
(meist 250 kg) im Bereich der Kuratie. Ein Haus auf dem Gelände des
Schwellenwerkes wurde ganz zerstört, einige Häuser erlitten etwas größere
Schäden, während es sich bei den meisten nur um Fenster- und Dachschäden
handelte. Ein Arbeiter, der sich auf dem Werksgelände zwischen Schwellenstapeln
befand, wurde sofort getötet, leider war er mit einer geschiedenen Frau
zivil verheiratet, so daß man ihm das kirchliche Begräbnis versagen mußte,
sonst kam am Ort niemand ums Leben, nur einige wurden leichter verletzt.
Das noch zum Pfarrkuratiebezirk gehörende Forsthaus beim Bahnhof Eglharting
erhielt einen Volltreffer, dabei fanden die Frau des Försters, seine Tochter
und ein Enkelkind den Tod. Die Köchin erlag den Verletzungen im Krankenhaus
zu Ebersberg, diese vier Opfer wurden im Friedhof von Neukirch,
Pfarrei Zorneding, beerdigt.
Die Kirchenfenster auf der Epistelseite wurden durch den Luftdruck fast gänzlich
vernichtet, von den 25 Fenstern des Kirchenraumes sind 16 ganz zerstört,
drei unbeschädigt, die übrigen nur geringe Schäden (alles waren Glasgemälde
aus dem Anfang dieses Jahrhunderts.)
Das Dach der Kirche wurde durch Splitter, Steine und Luftdruck beschädigt,
an die 400 Dachplatten genügen, die Schäden zu beseitigen, was zum größten
Teil inzwischen geschehen ist. Fenster und Dach vom Leichenhaus wurden
leicht beschädigt. Im Pfarrhof waren nur 7 Fensterscheiben zerbrochen,
und 100 Dachplatten sind neu zu ersetzen.
Auf dem hiesigen Friedhof wurden auch zwei russische Arbeiter beigesetzt,
welche auf dem Bahnhof in Zorneding durch Fliegereinwirkung ums Leben
gekommen waren (sie waren aus dem hiesigen Arbeiterlager). Am 26. April
erfolgte der letzte Abwurf von Bomben, es waren zum Glück nur Splitterbomben,
sonst hätte es schwerere Verluste gegeben, so wurde nur ein Mann verletzt, nur von einem Haus der Dachstuhl hinweggerissen, im übrigen nur Dach- und Fensterschäden. Auch das Schulhaus erlitt nur geringe Fenster- und
Dachschäden.
Am 28. April hat ein Mann aus der hiesigen Gemeinde bei seinen Schwiegereltern in [..] seine zwei Kinder, seine Frau und sich selbst erschossen. Er selber und seine Frau waren aus (der] Kirche ausgetreten, die Kinder nicht getauft
(aber heimlich von der Großmutter getauft). Die Ermordeten wurden
hier am 30. April in aller Stille, die Parteileute bereits nicht mehr in Uniform, durch die Angehörigen begraben. (Vor zwei Jahren stand der Mörder wie Gassenbub gaffend vor seinem Haus, als die Fronleichnamsprozession vorbeikam,
zum Ärgernis für die Prozessionsteilnehmer.)
Bei dem langen Hin und Her wegen der Panzersperren[1], die die Partei errichtete ,
und wegen des Lazarettbereichs konnte sich zuletzt doch noch der Chefarzt[2]
des hiesigen Reservelazaretts durchsetzen, so daß ein Teil des Ortes zum
Lazarettbereich erklärt wurde, immer wieder hat er Militär und SS aus dem
Lazarettbereich hinausgewiesen.
Am 1. Mai nachmittags 2 Uhr kam aus der Richtung München der erste amerikanische
Panzer, und mit MG schoß er in das Gerätelager der Wehrmacht
an der Münchner Straße, das dann übergeben wurde.
Viele Bewohner hißten um diese Zeit die weiße Flagge. Unterzeichneter ließ
sich Zeit damit; da aber kam der Mesner und ein Junge im Auftrag der Gemeinde
und des 2. Bürgermeisters (ein Pg.!) mit dem Auftrag, auf dem Turm
der Kirche die weiße Fahne zu hissen; die Gemeinde hatte auch gleich die
weiße Fahne mitgegeben. Am Ostausgang des Ortes schoß die SS aus dem
Wald auf einige Häuser, die die weiße Fahne gezeigt hatten, wie erst später
bekannt wurde.
Gegen halb 5 Uhr erfolgte dann die Übergabe des Ortes[3] durch den 2. Bürgermeister.
Die Panzerspitzen fuhren dann unter Abgabe von ständigen
Schreckschüssen durch den Ort in der Richtung Ebersberg-Grafing. Zwischen
Kirchseeon-Bahnhof und Kirchseeon-Ort wurde die amerikanische Panzerspitze
von drei deutschen Flugzeugen überflogen. Die Flugzeuge wurden angeschossen
und stürzten im Weiterflug ab (siehe Bericht von Ebersberg). Bei
der Straßenkreuzung Ebersberg-Grafing kam es zu einer kleinen Schießerei,
wie später dem Unterzeichneten durch französischen Arzt gesagt wurde. Das
größere von den Flugzeugen war in der Nähe des Staatsgutes Forstseeon brennend
aufgeschlagen.
Unterzeichneter hatte vom Abschuß des einen Flugzeuges kurz nach der
Durchfahrt der Panzerspitze gehört und gedachte nachzusehen, ob niemand
schwer verletzt sei, und fuhr mit dem Fahrrad, um zu suchen, und fand
schließlich das genannte brennende Flugzeug, ein Arzt und amerikanische Sanitäter
bemühten sich bereits um die Verletzten aus dem deutschen Flugzeug,
drei waren schwer verletzt, einer sehr bedenklich, der auch bald im Ebersberger
Krankenhaus gestorben ist, die Verletzten wurden dann in das Schulhaus
Kirchseeon gebracht, als dann auch noch ein Arzt und Sanitäter vom hiesigen
Reservelazarett kamen. Unterzeichneter wurde weder bei der Hinfahrt noch
bei Rückfahrt mitten unter der Panzerspitze, die sich wieder nach Kirchseeon-
Dorf zurückzog, behindert. Leider konnten zwei Mann aus dem brennenden
Flugzeug nicht mehr geborgen werden, nach einer Woche wurden sie dann
auf dem hiesigen Friedhof [begraben}, nachdem man mit großer Mühe von
den Kameraden, die inzwischen nach Zinneberg gekommen waren, wenigstens
ihre Namen festgestellt hatte.
Gegen Abend kamen immer mehr Truppen und Panzer in unseren Ort. Viele
Leute mußten infolgedessen ihre Wohnungen freimachen. In das Pfarrhaus ist
aber bis heute noch kein Amerikaner gekommen. Gar manche Gegenstände
wurden in den einzelnen Häusern mitgenommen. Ein SS-Soldat wurde später
im Walde aufgefunden, wie er ums Leben gekommen ist, konnte nicht mehr
festgestellt werden, aus seinen Papieren war auch zu entnehmen, daß er noch
katholisch war.
Am 23. Mai starb auf dem hiesigen Bahnhof ein ungarischer Soldat, der dann
ebenfalls hier beerdigt wurde, freilich hatte der deutsche Oberst des Transportzuges
die Papiere mitgenommen und war nicht mehr zu erreichen. Der
Verstorbene hatte noch ein Gebetbuch, in dem zwar ein Name stand, wohl
sein Name? Die Namen der genannten Toten, soweit sie hier begraben wurden,
sind in das Totenbuch eingetragen worden.
Plünderungen sind auch hier vorgekommen durch Polen und Russen aus dem
Arbeitslager im Schwellenwerk. In Kirche und Pfarrhaus ist nicht das
Geringste abhanden gekommen.
Auch nicht bei der Krankenschwester vom 3. Orden oder bei den Mallersdorfer
Schwestern im Reservelazarett.
Quelle:
Bericht der Pfarrkuratie Kirchseeon-Bahnhof, in: Peter Pfister (Hg.): Die Kriegs- und Einmarschberichte im Archiv des Erzbistums München und Freising (Schriftenreihe des Archivs des Erzbistums München und Freising, Band 8), München 2005, Seite 580-583
[1] Chefarzt des Reserverlazaretts war Dr. Georg Hacker, Leiter des hiesigen Lungensanatoriums
[2] 2. Bürgermeister war
[3] Vergleiche dazu die davon abweichende Darstellung in den Akten der SpK Ebersberg, Dr. Georg Hacker
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