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September 2017
Leerstand auf dem Pfarrfriedhof Kirchseeon

Sonderangebot auf dem Friedhof

Vor dem 2. Weltkrieg waren 97% der Landkreisbevölkerung katholisch, etwa 2% evangelisch und knapp 1% waren konfessionslos oder anderen Glaubens. Der Zuzug vieler Vertriebener in den Jahren nach dem Krieg veränderte diese Zusammensetzung nur wenig, obwohl knapp 40% der damals ca. 50.000 Einwohner des Landkreises Vertriebene waren; diese aber waren zu Dreiviertel katholisch und nur zum kleinen Rest evangelisch. Der Anteil der Protestanten an der Landkreisbevölkerung stieg durch diese Flüchtlinge daher nur auf rund 6%.

Inzwischen hat der Landkreis ca. 140.000 Einwohner und nicht mal mehr jeder Zweite ist katholisch, der Anteil der Protestanten ist hingegen auf ca. 13% gestiegen.

Diese geschichtliche Entwicklung erklärt, weshalb es in den meisten Gemeinden bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein nur katholische, aber keine kommunalen Friedhöfe gab. Da aber die Totenbestattung eine gemeindliche Aufgabe ist, die bereits in der Bayerischen Verfassung explizit erwähnt ist, sahen sich die Gemeinden zunehmend veranlasst, gemeindliche Friedhöfe zu errichten, um auch für Anders- und Nichtgläubige eine würdige Bestattungsmöglichkeit zu schaffen. Der Waldfriedhof in Grafing wurde ab 1951 angelegt, 1970 wurde die Aussegnungshalle errichtet, der Waldfriedhof in Kirchseeon wurde ab 1969 geplant und 1981 eröffnet.

Viele Hinterbliebene können daher heute wählen, auf welchem Friedhof sie ihre Toten beerdigen wollen, auf dem kirchlichen oder auf dem gemeindlichen. Kriterien für die Entscheidung sind neben den jeweils angebotenen Beerdigungsformen vor allem die Kosten – denn auch der Tod ist nicht umsonst. Unterschiedliche Angebote und Kosten bestimmen die Nachfrage - die Marktwirtschaft und der (Preis)wettbewerb sind auch auf dem Friedhof angekommen.

Beispiel Grafing: Zwar bietet der Pfarrfriedhof keine Urnennischen oder Naturgräber an, dafür sind aber Sargbestattungen unschlagbar günstig im Vergleich zum städtischen Waldfriedhof. Ein Grab für 2 Verstorbene kostet im Pfarrfriedhof 25 EUR/Jahr, im Waldfriedhof hingegen fast das Doppelte (mindestens genau so teuer sind Urnenbestattungen auf dem Grafinger Waldfriedhof). Es überrascht daher nicht, dass auf dem – zudem verkehrsgünstig in der Ortsmitte gelegenen - Pfarrfriedhof kaum eine Grabstelle frei ist.

Anders in Kirchseeon: Wie in Grafing bieten auch hier die kirchlichen Friedhöfe keine Urnennischen an, ein Grab für 2 Verstorbene bei Sargbestattung kostet 35 EUR/Jahr. Ein entsprechendes Grab auf dem gemeindlichen Waldfriedhof kostet knapp das Doppelte. Allerdings bietet der gemeindliche Waldfriedhof seit 2015 ein Urnengrab im anonymen Urnengräberfeld zum Preis von nur knapp 20 EUR/Jahr an. Der Trend zu mehr Urnenbestattungen, der in allen Nachbargemeinden zu beobachten ist (nahezu jeder zweite Verstorbene wird derzeit schon eingeäschert), scheint sich für den Kirchseeoner Pfarrfriedhof mangels eines entsprechenden Angebots negativ auszuwirken, denn immer mehr und größere Lücken zeigen sich in seinen Gräberfeldern (siehe Bild).

Dass die Gemeinde Kirchseeon auf ihrem Waldfriedhof ein solches Niedrigpreisangebot machen kann, liegt auch daran, dass sich der Gemeinderat seit Jahren weigert, den Forderungen des kommunalen Prüfungsverbands und des Landratsamts nach kostendeckenden Gebühren im Bestattungswesen nachzukommen. Zwar wurden auf Druck der Aufsichtsbehörde die Gebühren im Jahr 2014 moderat erhöht, von einer Kostendeckung ist man aber weiterhin weit entfernt. Denn laut den Angaben im aktuellen Haushaltsplan wurde im Jahr 2015 nur eine Kostendeckung von nicht mal 40% erzielt, die im laufenden Jahr auf gerade mal 50% steigen soll.

Die Differenz zwischen den Ausgaben und den Einnahmen wird aus dem allgemeinen Haushalt gezahlt und damit finanzieren auch jene Kirchseeoner Bürger, die ein Grab auf einem der kirchlichen Friedhöfe betreuen, die herunter subventionierten Grabstellen auf den gemeindlichen Friedhöfen mit.

Angesichts des Kirchseeoner Rekordschuldenbergs von rund 15 Mio. EUR steht diese Subvention nun erneut auf dem Prüfstand, zumal die Kostendeckung der kommunalen Friedhöfe in Grafing und Ebersberg nach mehreren Erhöhungen in den vergangenen Jahren deutlich höher liegt. So wird in Grafing für das laufende Jahr mit einem Kostendeckungsgrad von knapp 90% gerechnet. Das Ebersberger Rathaus rechnet für den alten und neuen städtischen Friedhof heuer mit einer Kostendeckung von knapp 65% - mehr meint der Stadtrat von den Hinterbliebenen nicht verlangen zu können, weil "insbesondere der neue Friedhof neben seiner Hauptbedeutung als Grabstätte auch einen erheblichen Aufwand für die besondere landschaftliche und künstlerische Gestaltung und den daraus resultierenden Erholungswert [hat]. Dies kann jedoch nicht als Entgelt den Grabbesitzern zugerechnet werden."

Die Anforderungen, die an Friedhöfe gestellt werden, werden immer höher. Gab es früher nur Sargbestattungen, so wollen die Hinterbliebenen heute auch Urnenbestattungen in verschiedenen Varianten, anonyme Gräber, Baumbestattungen, Gräber für Sternenkinder und anders mehr. Wenn eine Friedhofsverwaltung nicht flexibel auf eine geänderte Nachfrage reagiert, dann "wandern die Toten ab". Die würdige Bestattung der Verstorbenen wird daher künftig wohl nicht billiger werden.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft September 2017. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt.

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